„Kognitive Schulden“ nach jeder KI-Nutzung – so können wir sie vermeiden

Wenn wir Künstliche Intelligenz übermäßig nutzen, läuft unser Gedächtnis auf Sparflamme. Langfristig beeinträchtigt das unsere Kreativität und kognitiven Fähigkeiten.
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KI-gestützte Tools sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Man sollte bei ihrer Nutzung allerdings aufpassen.Foto: hirun/iStock
Von 21. August 2025

In Kürze:

  • Teilnehmer einer Studie sollten unter drei verschiedenen Bedingungen Aufsätze schreiben – die Studienautoren maßen dabei ihre Gehirnaktivität.
  • Probanden, die ChatGPT verwendeten, schnitten am schlechtesten ab.
  • Auch zeigte sich, dass die Leser KI-Aufsätze als „seelenlos“ empfanden.

 

E-Mails, Aufsätze, Briefe – ChatGPT und ähnliche KI-gestützte Tools kommen heute täglich und in großem Umfang für alles Mögliche zum Einsatz.

Doch wie eine neue Studie zeigt, hat diese kurzfristige Bequemlichkeit möglicherweise langfristige Folge für unsere kognitiven Fähigkeiten.

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KI-induzierte Amnesie

Im Rahmen der aktuellen Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) sollten 54 Studenten aus der Region Boston Aufsätze unter drei Bedingungen schreiben:

  1. 18 von ihnen sollten ChatGPT verwenden,
  2. 18 durften für ihre Recherchen Google nutzen,
  3. 18 sollten nur ihr Wissen und logisches Denken einsetzen.

Die Neurowissenschaftler untersuchten währenddessen mithilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) die neuronale Aktivität der Teilnehmer. Später befragten sie sie nach ihrem Gefühl der Eigenverantwortung und ob sie sich noch an das Geschriebene erinnern konnten.

Das Ergebnis: 83 Prozent derjenigen, die KI zum Verfassen ihrer Arbeiten verwendeten, konnten sich an keinen einzigen Satz erinnern – obwohl sie ihn nur wenige Minuten zuvor geschrieben hatten.

Gehirnaktivität deutlich reduziert

Gedächtnisdefizite waren nur ein Teil des Ganzen. Als die Wissenschaftler die Gehirnaktivität überwachten, stellten sie fest, dass KI-Nutzer eine deutlich geringere neuronale Aktivität aufwiesen.

Die Teilnehmer, die ihren Aufsatz ohne Hilfsmittel schrieben, generierten fast doppelt so viele Alpha-Frequenzband-Verbindungen wie die ChatGPT-Nutzer. Damit sind Alpha-Wellen gemeint, die mit konzentrierter Aufmerksamkeit und Kreativität in Verbindung stehen.

Wegen KI: Gehirn verliert Stimulation

Ähnlich wie GPS-Systeme, die nach und nach unsere Navigationsfähigkeiten beeinträchtigen, geben KI-Schreibtools unserem Gehirn die Möglichkeit, Energie zu sparen. Wenn ein externes System die kognitive Arbeit übernimmt, brauchen wir unser Denkorgan nicht mehr anzustrengen.

Das ist an sich nicht unbedingt etwas Schlechtes. Schließlich entwickeln wir Werkzeuge und Technologien, um Prozesse zu delegieren und Aufwand zu sparen.

Dass Studenten nur wenige Minuten später vergessen, was sie geschrieben haben, sei allerdings besorgniserregend, meint Steven Graham gegenüber Epoch Times. Graham ist Professor mit besonderer Auszeichnung in der Abteilung für Führung und Innovation am Teachers College der Arizona State University.

Ihm zufolge sollten Schüler und Studenten das Schreiben als ein Werkzeug nutzen, mit dem man lernt. „Wenn man sich nicht an die grundlegenden Informationen in seinen Texten erinnern kann, stellt sich die Frage: ‚Was hat man gelernt?‘“, so Graham, der in seiner Forschung untersucht, wie sich das Schreiben auf das Lernen auswirkt.

Der Einsatz der KI schwäche das Gedächtnis, meint dazu Mohamed Elmasry, emeritierter Professor für Computertechnik an der University of Waterloo.

Wer ChatGPT für routinemäßige kognitive Aufgaben übermäßig nutze, beraube sein Gedächtnis der notwendigen Stimulation, die es braucht, um fit zu bleiben, so der Professor emeritus, der über KI-Nutzung und menschliche Intelligenz forscht.

„Auch wenn das menschliche Gehirn ein Organ ohne bewegliche Teile ist, braucht es dennoch Bewegung!“, sagt Elmasry. Er befürchtet, dass die Abhängigkeit von KI-Technologie besorgniserregende Langzeitfolgen haben könnte.

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Langzeitfolgen durch „kognitive Schulden“

Vier Monate nach dem ersten Aufsatz ging die MIT-Studie weiter. Die Studienautoren baten dieselben Teilnehmer der KI-Gruppe, einen letzten Aufsatz zu schreiben, wobei sie nur ihren Kopf nutzen durften.

Doch selbst als sie selbstständig denken sollten, zeigten EEG-Scans, dass ihre neuronalen Netzwerke weniger aktiviert waren als bei den Teilnehmern, die die ganze Zeit über selbstständig gedacht und geschrieben hatten.

Die Forscher bezeichneten dieses Phänomen als „kognitive Schulden“. Ähnlich wie bei finanziellen Schulden bietet die KI-Unterstützung unmittelbare Vorteile, verursacht aber möglicherweise langfristige Kosten.

Laut Graham ist Schreiben eine harte Arbeit. „Manche Ideen sind schwierig und schwer zu fassen und erfordern, dass wir uns auf verschiedenen Ebenen mit ihnen auseinandersetzen. Wenn also eine Maschine dies für uns übernimmt, werden wir daraus nicht den Nutzen ziehen können, den wir wahrscheinlich durch unser eigenes Engagement bekommen hätten“, sagt er.

Der Professor erklärt, dass der Algorithmus die neuronalen Prozesse, die unabhängiges Denken, kreative Ideenfindung und originelle Ausdrucksweisen fördern, leise beeinträchtigen oder sogar verändern könnte.

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KI macht Gehirn weniger widerstandsfähig

„Indem wir mit Hilfe von Abkürzungen wie ChatGPT den einfachsten und schnellsten Weg durch die täglichen kognitiven Aufgaben nehmen, untergraben wir nach und nach die raffinierten Gedächtnisfunktionen unseres Gehirns“, sagt Elmasry dazu.

Wenn wir unsere kognitiven Fähigkeiten unzureichend nutzen, könnte es schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, ist er überzeugt.

„Wenn das menschliche Gedächtnis durch mangelnde Stimulation und Herausforderungen im Alter verkümmert, werden wir anfälliger für frühere und schwerere Demenz und andere Formen des kognitiven Abbaus“, meint der emeritierte Professor.

Anzumerken ist, dass es derzeit keine direkten Beweise für einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von KI und Demenz gibt. Die Sorge besteht jedoch darin, dass unser Gehirn, wenn es seltener geistig gefordert wird, langfristig weniger widerstandsfähig werden könnte.

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Perfekt einheitlich

Die Studie zeigte auch einen weiteren, wichtigen Effekt von KI-gestützten Aufsätzen: den Verlust von Individualität und Kreativität.

Im Zuge der Untersuchung mussten die Studenten im Wesentlichen menschenzentrierte Fragen beantworten, wie „Erfordert echte Loyalität bedingungslose Unterstützung?“ und „Sollten Personen, die besser dran sind als andere, eine größere moralische Verpflichtung haben, Personen in weniger glücklicheren Umständen zu helfen?“

Diese Fragen hätten Antworten hervorrufen sollen, die von persönlichen Erfahrungen und Überlegungen geprägt sind. Stattdessen zeigten die KI-Aufsätze eine algorithmische Homogenisierung.

Die Studenten übernahmen unwissentlich ähnliche Formulierungen, Satzstrukturen und Perspektiven – ihre individuellen Stimmen wichen einer vorhersehbaren Vorlage.

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„[Diese Beobachtungen sind] nicht überraschend“, meint Graham, „denn diese Modelle wiederholen das, was sie in der Datenbank sehen, mit der sie trainiert wurden. Es ist größtenteils formelhaft – es werden möglicherweise immer wieder dieselben Wörter verwendet.“

Zum Schluss sollten Englischlehrer die Aufsätze prüfen, ohne zu wissen, welche davon von KI generiert worden waren. Sie beschrieben die ChatGPT-Abhandlungen als „nahezu perfekt in Bezug auf Sprache und Struktur, aber gleichzeitig ohne persönliche Einblicke oder klare Aussagen“.

Die Lehrer empfanden diese Aufsätze als „seelenlos“, weil „viele Sätze inhaltlich leer waren und den Aufsätzen persönliche Nuancen fehlten“, schrieben die Forscher.

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KI-Zug fährt bereits – wie nutzen wir ihn?

Was die Teilnehmer der Studie anbelangt, so beschrieben einige von ihnen, dass sie sich „schuldig“ fühlten, wenn sie KI einsetzten – selbst wenn diese unmittelbar bessere Ergebnisse lieferte. Denn es „fühlt sich wie schummeln“ an, meinte ein Proband.

Der Einsatz von KI sei allerdings unvermeidlich. „Der Zug fährt bereits“, sagt Graham. „Aber es liegt an uns, wie wir ihn rollen lassen.“

Ihm zufolge kann man die KI beim Schreiben einsetzen. Bei sorgfältiger, bewusster Nutzung könne sie die Produktivität steigern und sogar die Kreativität fördern.

Er ermutigt Schüler, Studenten und andere KI-Nutzer dazu, kritisch zu denken. Sie sollten sich zuerst ihres Verstandes bedienen und KI als Werkzeug nutzen – nicht als Krücke.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „The Cognitive Debt We Accumulate Every Time We Use AI“. (redaktionelle Bearbeitung as)



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