Außerirdische Erscheinung: Woher kommen die mysteriösen Turmschädel?

In Kürze:
- Das Phänomen der Turmschädel erstreckt sich über die ganze Welt, einschließlich Deutschland, aus dem ein Großteil aller europäischen Funde stammt.
- Die ungewöhnlich längliche Form entsteht durch gezielte Verformung des kindlichen Schädelknochens.
- Die ältesten Turmschädel sind über 10.000 Jahre alt, die jüngsten nur etwa 100 Jahre.
- Gängige Theorien zu Herkunft und Motivation reichen von Schönheitsideal über Außerirdische bis göttliche Eingebung.
- Unbekannt ist, warum sie in mehreren Teilen der Welt immer wieder in Mode gekommen sind und welche gesundheitlichen Auswirkungen sie hatten.
Archäologen stoßen in Russland, Frankreich, Deutschland und Peru immer wieder auf menschliche Schädel, die eine auffällig lange Form haben. In einigen Fällen wuchs der Schädel ungewöhnlich nach oben, in anderen Fällen schräg nach hinten. Diese fremd wirkende Erscheinung ist in der Fachsprache als Langschädel oder Turmschädel bekannt.
Der älteste Nachweis solcher Schädel stammt aus der Fundstätte Houtaomuga im Nordosten Chinas. Hier entdeckten Forscher in den Jahren 2011 bis 2014 insgesamt 25 Skelette, wovon elf einen Turmschädel besaßen. Bei den Toten handelte es sich um Männer und Frauen im Jugend- und Erwachsenenalter, die von 10.000 bis 3.000 v. Chr. in Asien lebten.
Etwas jünger sind die Funde aus Russland, die Forscher 2022 bei Ausgrabungen im Süden des Landes entdeckten. Diese Menschen lebten mit ihrer markanten Kopfform um 3.000 bis 2.300 v. Chr. entlang der Küste des Kaspischen Meeres.
Nochmals deutlich jünger sind die Turmschädel aus Europa, die vermehrt ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. auftraten. Mit über 50 Skeletten kommen mehr als 20 Prozent aller europäischen Turmschädel aus Deutschland – einem Gebiet, in dem früher Alamannen, Franken und Thüringer lebten.

Eine 30- bis 40-jährige Alamannin mit Turmschädel aus dem frühen 6. Jahrhundert, ausgestellt im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart. Foto: Anagoria, Wikimedia Commons | CC BY 3.0
Was sind das für seltsame Schädel?
Einen Hinweis auf diese Frage finden wir bei Hippokrates im antiken Griechenland. In seiner Schrift „Von Luft, Wasser und Örtlichkeit“, die Teil des „Corpus Hippocraticum“ ist und aus der Zeit um 400 v. Chr. stammt, beschreibt der antike Arzt den Stamm der Macrocephali, auch die „Großköpfigen“ genannt, die eben jene Kopfform besitzen.
„Kein anderes Volk hat einen ähnlichen Kopf wie sie. […] Sie glauben, dass die edelsten Menschen die mit den längsten Köpfen sind. Was diese Gewohnheit betrifft, so formen sie den Kopf des Kindes unmittelbar nach der Geburt, solange er noch weich ist, mit den Händen und zwingen ihn durch Bandagen und andere geeignete Hilfsmittel in eine längliche Form”, so Hippokrates.
Mit anderen Worten: Turmschädel sind keine Laune der Natur und entstehen nicht infolge von Krankheiten. Stattdessen verursachen Eltern durch gezielte Umwicklungen des Kopfes ihres Kindes mit Stoff oder ähnlichem jene markante Kopfform.
[etd-related posts=“3210210,4863063″]
Turmschädel: Andere Länder, neue Sitten
Diese aus Asien stammende Praxis ist vor allem von den Hunnen bekannt – einem Reitervolk, das vor 2.000 Jahren in der heutigen Mongolei lebte. Mit ihren kriegerischen Einfällen im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. kam die künstliche Schädeldeformation nach Europa. Dass diese Sitte der Hunnen wenig später auch auf einheimische Europäer überging, zeigen zahlreiche Funde.
Einer davon ist der Friedhof Mözs-Icsei dűlő im heutigen Südungarn, der zwischen 430 und 480 n. Chr. genutzt wurde. Hier fanden deutsche und ungarische Archäologen 2020 eine schrittweise Übernahme dieses Brauchs.
Zunächst wendeten nur die hunnischen Einwanderer um 430 n. Chr. die Praxis der künstlichen Schädeldeformation an. Doch im Laufe der Jahre begannen auch die Einheimischen, die Schädel ihrer Kinder zu verformen. Im 6. Jahrhundert n. Chr. waren die Turmschädel schließlich in ganz Europa Mode und in Österreich, Rumänien, Kroatien, Slowenien, Deutschland und Frankreich zu finden.

„Die Hunnen im Kampf mit den Alanen“ von Peter Johann Nepomuk Geiger, Holzschnitt von 1873. Foto: Gemeinfrei
Ausdruck für Schönheit
In der Neuen Welt war diese Praxis noch weiter verbreitet und häufiger angewendet worden. Die in Mittelamerika lebenden Maya begannen bereits vor 2.500 Jahren, ihre Schädel zu deformieren. Mehr als 1.000 Jahre später waren die Turmschädel bereits ein fester Bestandteil ihrer Kultur.
Dennoch gab es Unterschiede, die den sozialen Status widerspiegelten. Bei der gewöhnlichen Bevölkerung war der Schädel in einem relativ einfachen Verfahren nach oben verlängert worden, nicht aber bei den Würdenträgern wie Königen und Priestern. Diese Personengruppen waren darauf bedacht, sich vom übrigen Volk zu unterscheiden, weshalb die Schädel ihrer Kinder schräg nach hinten verlängert wurden.
[etd-related posts=“4448863,3912502″]
Dazu verwendeten die Maya nachweislich zwei verschiedene Techniken. Die sanfteste Methode bestand darin, Polster oder Platten an der Schädeldecke des Säuglings zu befestigen und Druck auszuüben. Deutlich drastischer war die zweite Methode mit speziellen Wiegen, in denen der Kopf des Säuglings zwischen zwei Brettern eingeklemmt wurde.

Drei Methoden, wie die Maya die Köpfe ihrer Kinder künstlich verformten. Foto: Gemeinfrei
Als ein spanischer Missionar im 16. Jahrhundert einen Maya fragte, warum sich ihre Schädel von jenen der Europäer unterscheiden, soll der Maya erklärt haben:
„Wir tun dies, weil die Götter unseren Vorfahren gesagt haben, dass wir edler und schöner aussehen würden, wenn unsere Köpfe so geformt wären”.
Auch unter den Inkas, die im westlichen Teil Südamerikas lebten, und vielen Stämmen nordamerikanischer Ureinwohner war diese Methode weitverbreitet. Am interessantesten sind jedoch die Schädel von Anhängern der Paracas-Kultur (900–200 v. Chr.) im Westen Perus.
Alien-artige Turmschädel
In den Jahren 1880 bis 1947 entdeckten Archäologen in einer über 2.000 Jahre alten Grabstätte auf der Halbinsel Paracas die Überreste hunderter Menschen. Am auffälligsten waren ihre extrem langen Schädel, die in ihrer Form an die sagenumwobenen gläsernen Schädel aus „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ erinnern.
Die echten Turmschädel aus Peru stammen ausschließlich von Männern – offenbar von hohem Rang – deren Schädel im Vergleich zu allen anderen weltweit viel länger sind. Dieser Umstand regte zahlreiche Wissenschaftler zu intensiven Nachforschungen an, wodurch einige Theorien entstanden.

In einem Museum ausgestellte Turmschädel der Paracas-Kultur in Peru. Foto: Namiac, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0
So behauptet etwa der Autor Brian Foerster seit Jahrzehnten, dass diese Schädel zu einer anderen menschlichen Spezies gehören. Andere Forscher gingen sogar noch weiter und vermuteten, dass es sich um Überreste von Außerirdischen handelt. Ein Genabgleich mit heute in der Region lebenden Einheimischen zeigt jedoch, dass es keine großen Unterschiede zu den Menschen der Paracas-Kultur gibt.
[etd-related posts=“3720203″]
Vielmehr scheint eine intensive und frühzeitig bei den Kindern begonnene Deformierung die Ursache für die extrem langen Turmschädel zu sein. Statt einfacher Bandagen könnten Stoffbänder mit schweren Platten am Kopf der Neugeborenen angebracht worden sein, was das Wachstum in eine bestimmte Richtung begünstigte. Interessanterweise wurde diese Praxis sogar bis in die Moderne angewendet. So sind Turmschädel bei Franzosen und Afrikanern aus dem 19. und 20. Jahrhundert bekannt.

Eine Mangbetu-Frau mit Turmschädel aus der Demokratischen Republik Kongo. Foto: Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0
Ist diese Verformung ungesund?
Eine Frage, die noch immer diskutiert wird, ist, ob derartige Schädelverformungen negative gesundheitliche Auswirkungen hatten. Im Jahr 2003 versuchten Forscher um Martin Frieß diese Frage zu beantworten, indem sie das Volumen der Turmschädel mit dem gewöhnlichen Schädel verglichen.
Das Ergebnis: Zwar änderte sich die Form des Schädels, doch das Gehirnvolumen war letztlich nahezu gleich geblieben. Die Forscher schlussfolgerten, dass die Funktion des Hirns nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen sei.
[etd-related posts=“4330878″]
Eine zweite Forschergruppe um Tyler G. O’Brien kam 2013 dagegen zu dem Schluss, dass die Verformungen der Schädelstruktur zur Beeinträchtigung des Sehvermögens, des Gehörs, des Gedächtnisses, der Lernfähigkeit und vieles mehr geführt haben könnte.
Ungelöst bleibt indes das Rätsel, warum ein solches ungewöhnliches Phänomen so weitverbreitet ist und wie es an so unterschiedlichen Orten der Welt und zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte der Menschheit auftrat.
Dieser Artikel erschien im Original auf www.epoch.org.il unter dem Titel: „היסטוריה מוזרה“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion