Mangelhaftes Schiff: Shackleton wusste, das seine „Endurance“ sinken könnte

In Kürze:
- Die „Endurance“ des britischen Polarforschers Ernest Shackleton galt bisher als stärkstes Polarschiff ihrer Zeit.
- Einer neuen Analyse zufolge war das Schiff jedoch nicht für die antarktischen Bedingungen gebaut und damit zum Sinken verurteilt.
- Einblicke in Briefe und Tagebücher belegen zudem, dass Shackleton von den Mängeln wusste und dennoch in See stach.
Sir Ernest Shackletons Schiff „Endurance“ (deutsch: Ausdauer) wurde vom antarktischen Meereis zerquetscht und sank im November 1915. Noch mehr als 100 Jahre später gilt der Dreimaster als Symbol für das Zeitalter der Antarktisforschung.
Mit der Entdeckung des sehr gut erhaltenen Wracks im Jahr 2022 und zahlreichen anschließenden Untersuchungen konnte das Geheimnis um den Untergang der „Endurance“ intensiv erforscht werden.
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Eine aktuelle Studie aus der Zeitschrift „Polar Record“ zeigt, dass das hölzerne Expeditionsschiff einige Fehler hatte, die seine Ausdauer auf eine eisige Probe stellten. Letztlich war das Eis stärker als das vermeintlich beste Polarschiff seiner Zeit.

Die „Endurance“ unter Segel beim Versuch, das antarktische Packeis im Weddellmeer zu durchbrechen. Foto: Gemeinfrei
Mängel waren Kapitän bekannt
In der bislang einzigartigen Studie untersuchte Jukka Tuhkuri, Professor für Festkörpermechanik an der Aalto-Universität, sowohl die Bauweise der „Endurance“ als auch alle bekannten Tagebücher und Schriftwechsel zum Schiff.
Tuhkuri war einer von 15 Wissenschaftlern der Endurance22-Mission, die das Wrack 2022 entdeckte. Überrascht darüber, dass nie eine Strukturanalyse des Schiffes durchgeführt worden war, weckte die Entdeckung des Wracks seinen Wunsch, die Wahrheiten hinter dem Untergang der „Endurance“ aufzudecken.

Mehr als 100 Jahre nach dem Schiffbruch des britischen Expeditionsschiffs „Endurance“ von Ernest Shackleton haben Forscher im antarktischen Weddellmeer in 3.008 Meter Tiefe das hölzerne Wrack gefunden. Foto: Credit Falklands Maritime Heritage Trust/National Geographic/dpa
Seine umfassende Untersuchung wirft nun ein neues Licht auf die Expedition und ihren Leiter Ernest Shackleton. Denn das Schiff hatte nicht nur erhebliche Schwächen, sondern der berühmte Forscher war sich dieser auch lange vor dem Auslaufen bewusst.
„Selbst eine einfache Strukturanalyse zeigt, dass das Schiff nicht für die Druckbelastungen durch Packeis ausgelegt war, was schließlich zu seinem Untergang führte“, sagte Prof. Jukka Tuhkuri, einer der weltweit führenden Eisforscher.

Am 21. November 1915 sank die „Endurance“ schließlich. Foto: Gemeinfrei
Der Untergang war vorhersehbar
In seiner Studie verglich der Eisforscher die „Endurance“ mit sechs weiteren hölzernen Polarschiffen des 19. und 20. Jahrhunderts. Darunter sind auch die „Scotia“ und die „Deutschland“, die zusammen mit der „Antarctic“ und der „Endurance“ zu den vier ersten Forschungsschiffen gehörten, die in das Weddellmeer fuhren. Während die ersten beiden Schiffe trotz drückendem Eis die Fahrt unversehrt überstanden, wurden die beiden letzteren – zuerst die „Antarctic“ 1903 und dann die „Endurance“ 1915 – zerquetscht.
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Für Shackleton war dies möglicherweise ein Déjà-vu, denn er half damals bei der Rettung der „Antarctic“-Besatzung. Außerdem befand sich das Buch über jene Expedition zunächst an Bord von Shackletons „Endurance“. Später, nachdem das Schiff aufgegeben worden war, trug der Polarforscher das Werk während der heldenhaften Rettung seiner Mannschaft durch das Ewige Eis bei sich.

Ernest Henry Shackleton (1874–1922) um 1910. Foto: Hulton Archive/Getty Images
Ebenso fraglich sind die Ereignisse von 1911. Zu dieser Zeit wurde das Polarschiff „Deutschland“ für seine Antarktisexpedition umgebaut. Damit es dem enormen Druck des Eises standhält, wurde der Schiffsrumpf zusätzlich mit diagonalen Balken versehen. Dieser Rat, der letztlich das Schiff vor dem Zerquetschen bewahrte, kam von Shackleton. Seine „Endurance“ hingegen hatte später keine zusätzlichen Balken erhalten.
„Sowohl Shackleton als auch die Werft wussten, was man beim Bau von Schiffen bezüglich des drückenden Eises berücksichtigen musste. Nachdem die „Deutschland“ aus dem Weddellmeer zurückgekehrt war, wussten beide, dass die Konstruktion erfolgreich war. Warum der Rumpf der „Endurance“ nicht in ähnlicher Weise verstärkt wurde, ist nicht bekannt“, so Prof. Tuhkuri.
Wie sich später herausstellte, sollte unter anderem dieses fehlende Bauelement zum Untergang der „Endurance“ führen.

Bereits im Februar 1915 war die „Endurance“ im Eis gefangen. Foto: Gemeinfrei
Fehler der „Endurance“ im Detail
Die „Endurance“ war eine dreimastige Schonerbark aus Holz mit einer Länge von 43,90 Metern, einer Breite von 7,60 Metern und einer 350-PS-starken Dampfmaschine. Das 1912 vom Stapel gelassene Schiff war ursprünglich für den sommerlichen Polartourismus und die Jagd auf Eisbären und Walrosse in der Arktis gebaut. Und genau da lag in den Augen von Professor Jukka Tuhkuri das Problem.
Hölzerne Expeditionsschiffe, die für Druckbelastungen durch Packeis ausgelegt waren, besaßen im Gegensatz zur „Endurance“ eine Reihe wichtiger Merkmale:
- geneigte Seitenwände und keinen parallelen Mittelrumpf, damit das sich ausdehnende Eis das Schiff nur anhebt und nicht zerquetscht
- einziehbare Ruder und Propeller
- diagonale Stützen zur Verstärkung des Rumpfes.

Die Seemänner versuchen, das Schiff freizuschaufeln, damit es nicht vom Eis zerdrückt wird. Foto: Gemeinfrei
Ein weiterer Nachteil von Shackletons Schiff war der große Maschinenraum. Ohne Zwischendeck musste das Hauptdeck die gesamte Last tragen, was die Festigkeit des Rumpfes deutlich verringerte. Die Analyse von Prof. Tuhkuri widerlegt somit die bisherige Theorie, welche besagt, dass das Ruder die Achillesferse war und als das Eis das Ruder abriss, die „Endurance“ dem Untergang geweiht war.
„Die „Endurance“ verlor zwar ihr Ruder, aber das führte nicht zum Untergang des Schiffes. Die „Endurance“ wäre auch ohne Ruder gesunken. Wenn man einen einzigen Grund für den Untergang der „Endurance“ nennen müsste, dann war es das Abreißen des Kiels, wodurch das Schiff in zwei Hälften zerbrach. Das Ruder war auch nicht der schwächste Teil des Schiffes. Der schwächste Teil war der Maschinenraum, dem es an Balken und damit an Festigkeit gegen den Druck des Eises mangelte“, erklärt Tuhkuri.
Warum stach Shackleton dennoch in See?
Trotz der intensiven Forschung der Schriften bleibt unklar, warum sich Ernest Shackleton trotz der bekannten Mängel dafür entschied, mit der „Endurance“ in das gefährliche antarktische Packeis zu segeln.
Bevor er aufbrach, beklagte er in einem Brief an seine Frau die Schwächen des Schiffes und schrieb, er würde die „Endurance“ jederzeit gegen sein vorheriges Schiff, die „Nimrod“, eintauschen.
„[…] dieses Schiff ist konstruktiv nicht so stabil wie die „Nimrod“, das habe ich an ihrem Verhalten gesehen, als sie hier bei Sturm gegen die Kaimauer gedrückt wurde. Es gibt aber keinen Grund zur Beunruhigung, da ich denke, dass sie das Eis ohne Probleme durchbrechen wird. Nur würde ich sie jederzeit gegen die alte Nimrod eintauschen, wenn es nicht um den Komfort ginge“, schrieb Shackleton an seine Frau Emily.

Die 28 Mann starke Besatzung hat vollständig überlebt. Foto: Gemeinfrei
Waren falsche Entscheidungen der eigentliche Grund für den Untergang des Schiffes, oder war die „Endurance“ einfach „vom Pech verfolgt“?
„Es wäre nicht richtig zu sagen, dass die „Endurance“ Pech hatte, aber vielleicht ging ihr am Ende das Glück aus. Schließlich überstand sie anfänglich eine Reihe schwerer Eisvorstöße“, so Prof. Tuhkuri.
Mögliche Gründe für die Entscheidung von Shackleton gibt es jedoch genügend. „Wir können über finanzielle Not oder Zeitdruck spekulieren, aber in Wahrheit werden wir vielleicht nie erfahren, warum Shackleton die Entscheidungen traf, die er letztlich getroffen hat“, erklärt Prof. Tuhkuri.
Eine geschichtsträchtige Rettung
Der britische Polarforscher Ernest Shackleton ist Namensgeber unzähliger Schiffe und Landschaften. Bekannt wurde er jedoch nicht für seine Forschung, sondern für seine spektakuläre Rettungsaktion während der Expedition im Jahre 1915. Obwohl seine „Endurance“ vom Eis erdrückt wurde, schaffte er es, seine komplette Crew vor dem Tod zu bewahren.
Shackleton leitete die „Endurance“-Expedition 1914 mit dem Ziel, die Antarktis am südlichsten Rand des Weddellmeeres zu erreichen und dann den Kontinent über den Südpol bis zum Rossmeer zu durchqueren. Doch bekanntlich erreichte Shackleton sein Ziel nie.

Karte der Antarktis mit ausgewählten Gebieten, Schelfeisen und Polarstationen. Foto: ts/Epoch Times/nach Rainer Lesniewski/iStock
Das ewige Eis nahm das Expeditionsschiff im Januar 1915 in seinem eisigen Bann gefangen. Im Oktober 1915 war das Schiff so stark undicht, dass die Expedition es aufgeben musste und in ein Lager auf dem Meereis umzog. Am 21. November 1915 sank die „Endurance“.
Shackleton und seine 27 Männer trieben auf Eisschollen weiter nach Norden und erreichten im April 1916 mit Rettungsbooten Elephant Island, wo sie von einem chilenischen Dampfschlepper gerettet wurden. Alle 28 Mitglieder der Expedition überlebten und kehrten nach Hause zurück.
Später schrieb Shackleton über den schicksalhaften Moment: „Ich kann den Eindruck der unerbittlichen Zerstörung, der sich mir bot, als ich mich umsah, nicht beschreiben. Die Eisschollen […] vernichteten das Schiff einfach.“
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