Ist unser Musikgeschmack genetisch vorbestimmt?

Deutsche Forscher arbeiten daran, die Geheimnisse musikalischer Schönheit zu entschlüsseln. Dabei zeigt sich: Was wir als schön klingend empfinden, ist nicht beliebig – aber auch nicht einheitlich.
Musik: Liegt die Schönheit im Ohr des Hörers?
Die Frage, was Menschen als schön empfinden, beschäftigt Philosophie, Kunst und Psychologie seit Jahrhunderten – auch in der Musik.Foto: zenstock/iStock
Von 21. September 2025

In Kürze:

  • Schönheit in der Musik zeigt sich an drei emotionalen Reaktionen: ruhiger Ergriffenheit, freudiger Erregung und gespannter Erwartung.
  • Etwa 54 Prozent der Unterschiede im Musikerleben gehen auf genetische Einflüsse zurück.
  • Ob eine Stimme als schön empfunden wird, hängt weniger von messbaren Klangmerkmalen ab als vom persönlichen Geschmack.

 

Jedes Jahr messen sich Dutzende Nationen beim Eurovision Song Contest, wo Musikproduzenten versuchen, den Geschmack von Millionen zu treffen. Sie tüfteln an Akkorden und Melodien, analysieren vergangene Gewinner und rechnen mit Punkten und Quoten.

Und dennoch sind die Geschmäcker von Jury und Publikum immer wieder verschieden. Während die Favoriten durchfallen, gewinnen andere, eher unscheinbare Teilnehmer. Der Massengeschmack entzieht sich der Planung – und Schönheit scheint jeder anders und vollkommen musterlos zu empfinden. Oder doch nicht?

Lässt sich Schönheit in der Musik vermessen?

Diese Frage stellte sich bereits der deutsche Musikphilosoph Theodor W. Adorno. Er untersuchte 1965 ein spezielles Verhalten von Musikhörern: das gezielte Warten auf einzelne Höhepunkte, wie eine Wendung, einen Gänsehautmoment oder eine sogenannte schöne Stelle.

Doch Adorno war nicht der Erste, der sich über solche Phänomene Gedanken machte. Die Frage, was Menschen als schön empfinden, beschäftigt Philosophie, Kunst und Psychologie seit Jahrhunderten. Schon Immanuel Kant vertrat die Ansicht, dass musikalische Schönheit nicht einfach eine persönliche Vorliebe ist, sondern die Fähigkeit, überindividuelle ästhetische Urteile zu fällen.

Der Psychologe Gustav Theodor Fechner ging im 19. Jahrhundert einen Schritt weiter. Er wollte Schönheit nicht nur philosophisch deuten, sondern auch erfahrbar und messbar machen – durch systematische Befragungen, Reizvergleiche und Reaktionsanalysen.

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Auf einer Skala von 1 bis 10 …

Genau das tun auch Forscher des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main unter der Leitung der Musikwissenschaftlerin Melanie Wald-Fuhrmann. In einer Studie mit 33 Teilnehmern gingen die Forscher der Frage nach, welche musikalischen Passagen als besonders schön oder berührend erlebt werden – und warum.

In ihrer Studie verzichteten die Forscher bewusst auf eine genaue Definition von „schön“ und gaben keine Musikstücke vor. Stattdessen berichteten die Probanden von ihren Favoriten, in denen sie persönlich „schöne Stellen“ sehen, kurze Passagen, die sie emotional besonders berührten. Darunter fanden sich klassische Werke ebenso wie Popmusik oder französische Chansons.

Während des gesamten Hörens maßen Sensoren verschiedene körperliche Reaktionen, die mit unseren Emotionen zusammenhängen. Im Anschluss beurteilten die Teilnehmer mithilfe von Skalen, wie sie die einzelnen Passagen erlebten. Dabei spielten die Aspekte Schönheit, Energie, Wohlgefühl und Interesse sowie Empathie, Freude, Trauer oder Gänsehaut eine Rolle. Außerdem beschrieben die Teilnehmer, was die Stellen für sie so besonders macht.

Ziel dieser Auswertung war es, typische Muster im Erleben musikalischer Schönheit zu erkennen. Gibt es wiederkehrende Kombinationen von emotionalen Reaktionen, die sich körperlichen Reaktionsmustern zuordnen lassen? Und wenn ja – wie hängen sie mit musikalischen Merkmalen wie Harmonie, Tempo oder Instrumentierung zusammen?

Ist schöne Musik relativ?

Die Analyse ergab, dass sich die musikalische Schönheit an drei emotionalen Reaktionen zeigte: ruhiger Ergriffenheit, freudiger Erregung und gespannter Erwartung. Diese unterscheiden sich sowohl in der Art der Reaktionen als auch in den musikalischen Merkmalen.

„Oft lässt sich die Schönheit einer Stelle nur nachvollziehen, wenn man sie im Kontext hört – vor allem zu dem, was davor war“, so Wald-Fuhrmann. Erst im Unterschied zum Vorangegangenen entfalte sich ihre Wirkung. Weiter sagte sie:

„Musik ist eine Zeitkunst, und jeder Moment lebt aus dem Bezug zu dem, was davor und danach kommt.“

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Zwar variierte die ausgewählte Musik stark, doch tauchten bestimmte Wirkprinzipien immer wieder auf. Ganz egal, ob es sich um einen Popsong von Whitney Houston handelte oder um eine Arie von Puccini: Plötzliche Dynamikwechsel oder auffällige Akkorde wurden als besonders schön empfunden. Häufig wurden auch Stellen genannt, in denen nach einem längeren instrumentalen Vorspiel erstmals die Stimme einsetzte.

Ein weiteres Kriterium für den Musikgenuss ist die Klangfarbe der Stimme. Muss sie glatt und gefällig sein – oder darf sie auch irritieren und herausfordern? Was bei einigen Hörern für Gänsehaut sorgt, kann für andere Ohren ungewohnt klingen. Doch was genau macht eine Stimme schön? Diese Frage stand im Zentrum einer weiteren Studie.

Klangfarbe ist nicht alles

Bisher dominierten Studien zur Attraktivität von gesprochenen Stimmen, welche zeigten, dass tiefere Stimmlagen bei Männern und höhere bei Frauen als angenehmer empfunden werden. Dagegen fehlten bislang Studien zur ästhetischen Wahrnehmung von Singstimmen.

Hier kommt Camila Bruder, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main, ins Spiel. Sie untersuchte, was unsere Vorliebe für bestimmte Gesangsstimmen prägt: der objektiv messbare Klang oder das, was wir subjektiv darin wahrnehmen?

Für das Experiment sangen 16 professionelle Sängerinnen zwei bekannte Melodien insgesamt 96 Mal a cappella ein – ohne Text, nur auf dem Vokal „u“. Bei einer anschließenden Umfrage bewerteten fast 400 Teilnehmer unterschiedlicher Nationen, wie sehr ihnen jede Stimme gefiel. Das Ergebnis: Die Vorlieben unterschieden sich stark von Person zu Person. Fast jede Stimme wurde von einigen geliebt, aber von anderen kaum geschätzt. Nur eine Sängerin schnitt bei nahezu allen Befragten gut ab.

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Rund 43 Prozent der Bewertungen ließen sich durch die subjektive Einschätzung stimmlicher Eigenschaften erklären. Objektive Merkmale, etwa wie exakt eine Sängerin die Tonhöhe hielt, spielten eine untergeordnete Rolle. Entscheidend war vor allem, wie jemand eine Stimme interpretierte – nicht, was sie akustisch messbar leistete. Dies spiegelte sich auch in der großen Spannbreite individueller Urteile wider.

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Schönheit lag hier also nicht im Klang, sondern eindeutig im Ohr der Hörer. Doch warum berühren uns bestimmte Stimmen und Musikstücke, während sie bei anderen keinerlei Wirkung entfalten? Ist alles nur Geschmackssache, eine Frage der kulturellen Bildung oder der genetischen Veranlagung?

Spielen unsere Gene eine Rolle?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Forschungsteam um Giacomo Bignardi, Doktorand am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen. Dabei ging es nicht um Schönheit im engeren Sinn, sondern darum, wie stark Menschen Musik als belohnend empfinden. Löst sie ein intensives Gefühl aus? Will man sich dazu bewegen? Fühlt man sich dadurch anderen näher?

Diese drei Reaktionsweisen – emotional, körperlich und sozial – beschreiben unterschiedliche Arten, wie Musik unser Belohnungssystem im Gehirn ansprechen kann. Manche Menschen bekommen bei Musik Gänsehaut, weil ihr Gehirn besonders stark auf emotionale Reize reagiert. Andere spüren einen Bewegungsdrang, weil musikalische Rhythmen bei ihnen besonders leicht motorische Impulse auslösen. Wieder andere erleben Musik als soziale Brücke und fühlen sich durch bestimmte Lieder mit anderen Menschen oder Erinnerungen verbunden.

„All diese Reaktionen entstehen durch unterschiedliche, teils angeborene Verschaltungen im Gehirn“, so Bignardi.

Einige Menschen sprechen auf Musik jedoch kaum an. Wie kommt es dazu? Einer Untersuchung zufolge sind zu 54 Prozent die genetischen Einflüsse entscheidend, während der Rest durch Umwelteinflüsse, Erziehung oder individuelle Erfahrungen erklärt werden kann.

Dabei sprechen die Forscher von „genetischen Pfaden“, also von Wegen, über die unsere Gene bestimmte Hirnreaktionen beeinflussen können. Diese Pfade betreffen teilweise das Belohnungssystem im Gehirn.

„Es gibt also nicht das eine ‚Musikgen‘, sondern sehr viele, die dafür sorgen, dass wir uns darin unterscheiden, wie unser Gehirn auf musikalische Reize reagiert“, erklärte Miriam Mosing vom Institut für empirische Ästhetik.

Gerade weil diese Reaktionen so verschieden ausfallen, könnte das auch erklären, warum die Schönheit von Musik so unterschiedlich erlebt wird. Letztlich deuten die Studien der Max-Planck-Forscher an, dass musikalische Schönheit nicht beliebig ist – aber auch nicht einheitlich. Was jemand als schön empfindet, lässt sich nicht auf ein einziges Merkmal zurückführen.

Mit Material der Max-Planck-Gesellschaft.



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