Pest als Test: Welche Chancen und Risiken haben mRNA-Impfstoffe gegen Bakterien?

In Kürze:
Bakterielle Infektionen sind traditionell gut behandelbar, das gilt auch für den Pesterreger Yersinia Pestis.
Günstige Produktionskosten machen mRNA-Impfstoffe gegen seltene Krankheiten wirtschaftlich interessant.
Fortschritte bei mRNA-Impfstoffen können das Anwendungsspektrum erhöhen – und neue Probleme schaffen.
Bakterien können mutieren und den Impfschutz ebenso umgehen wie Viren, wodurch die Gefahr multiresistenter Keime steigt.
Bekannte Risiken sind keine zufälligen Begleiterscheinungen. Sie sind die Folge der grundlegenden Wirkweise von mRNA-Impfstoffen.
Impfungen gelten als zentrale Säule der medizinischen Grundversorgung – laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein unumstrittenes Menschenrecht und eine der besten Investitionen in die Gesundheit. Ein Aspekt rückt dabei besonders in den Vordergrund: die schnelle Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen neu auftretende Bedrohungen. Impfstoffe auf mRNA-Basis nehmen hier eine Schlüsselrolle ein. Sie sind besonders kostengünstig und schnell in großer Menge herstellbar. Und sie sollen innerhalb kurzer Zeit an neue Erreger anpassbar sein.
mRNA-Impfstoffe im Kampf gegen Bakterien
Etwa drei Viertel aller heute eingesetzten konventionellen Impfstoffe richten sich gegen Viren. Das hat einen einfachen Grund: Gegen bakterielle Erkrankungen stehen oft wirksame Medikamente wie Antibiotika zur Verfügung – gegen viele virale Erreger hingegen nicht. Geimpft wird dort, wo spezifische Therapien fehlen oder der Krankheitsverlauf besonders schwer ist.
Auch die bislang zugelassenen mRNA-Impfstoffe – etwa gegen SARS-CoV-2 oder RSV – zielen auf virale Erreger. Gegen Bakterien hingegen scheinen diese Plattform-Impfstoffe bislang wenig geeignet. Das schmälert ihren Anwendungsbereich erheblich. Denn gesundheitliche Bedrohungen entstehen nicht nur durch Viren, sondern auch durch Bakterien oder Parasiten.
Eine israelische Forschungsgruppe der Universität Tel Aviv hat nun eine Weiterentwicklung der mRNA-Technologie vorgestellt. Wie das Team um Dan Peer im Fachjournal „Advanced Science“ berichtet, gelang es ihnen, einen mRNA-basierten Impfstoff gegen den bakteriellen Erreger der Pest, Yersinia pestis, zu entwickeln. In Labormäusen zeigte der Impfstoff eine nahezu vollständige Schutzwirkung gegen die Lungenpest, eine besonders tödliche Verlaufsform, gegen die es bislang keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Sollte sich dieser Effekt auch beim Menschen bestätigen, wäre das ein bedeutender Fortschritt für die Anwendung der mRNA-Technologie bei bakteriellen Infektionen.
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Grenzen der mRNA-Impfung bei bakteriellen Erregern
Die entscheidenden Bestandteile eines Impfstoffs sind die sogenannten Antigene – also spezifische Erkennungsmerkmale eines Erregers, meist Proteine, die unser Immunsystem trainieren und eine Abwehrreaktion auslösen. Antigene von Bakterien unterscheiden sich allerdings grundlegend von denen viraler Erreger – sowohl in ihrer Struktur als auch in der Art ihrer Herstellung. Viren nutzen die zelluläre Maschinerie des Wirts, um ihre Proteine zu produzieren. Bakterien hingegen verfügen über eigene Enzymsysteme zur Proteinsynthese. Ihre Antigene sind dadurch oft anders gefaltet oder chemisch modifiziert.
Die mRNA-Impfstoffe greifen das Prinzip einer Virusinfektion auf: Die Wirtszelle produziert anhand einer fremden Bauanleitung ein Zielprotein – das Impf-Antigen. Bei Viren funktioniert das, weil ihre natürliche Vermehrung denselben Mechanismus nutzt. Das durch den mRNA-Impfstoff produzierte Protein entspricht somit prinzipiell dem viralen Original. Für bakterielle Proteine hingegen ist dieser Weg unnatürlich. Wenn die Enzyme einer Körperzelle bakterielle Antigene herstellen, entstehen Strukturen, die vom bakteriellen Original abweichen können.
Hinzu kommt: Viele Bakterien vermehren sich außerhalb von Zellen – im Gewebe oder in Körperflüssigkeiten. Wenn sie von Zellen aufgenommen werden, leben sie häufig in Vesikeln wie Endosomen. Ihre Antigene werden dem Immunsystem deshalb auf anderen Wegen präsentiert als die von Viren. Das beeinflusst, auf welche Art bestimmte Immunzellen aktiviert werden – und wie wirksam die Immunantwort ist. Die Folge: mRNA-Impfstoffe gegen bakterielle Erreger lösen schwächere oder weniger zielgerichtete Immunreaktionen aus.
Ein neuer Trick für bakterielle mRNA-Impfstoffe
Die Wissenschaftler der Universität Tel Aviv haben nun einen neuen Ansatz entwickelt, um mRNA-Impfungen gegen bakterielle Antigene zu ermöglichen. Der Schlüssel liegt dabei in zwei entscheidenden Modifikationen. Zum einen wurde die mRNA-Sequenz, also die Bauanleitung des bakteriellen Antigens, gezielt optimiert. Zum anderen kombinierten die Forscher ein bakterielles Protein gentechnisch mit einem zusätzlichen Bestandteil eines menschlichen Antikörpers.
Bei der Entwicklung des neuen Impfstoffs stützten sich die Forscher auf zwei zentrale Komponenten des Pesterregers Yersinia pestis: das LcrV-Protein und das F1-Kapselantigen. Beide Proteine gelten als vielversprechende Kandidaten für die Entwicklung neuer Pestimpfstoffe. Das F1-Antigen bildet eine Kapselstruktur, die die Aufnahme der Bakterien durch Fresszellen erschwert, während LcrV Teil eines Sekretionssystems ist und entzündliche Immunreaktionen gezielt hemmt.
Wie beim COVID-19-Impfstoff kamen auch bei diesem neuartigen Impfstoff nicht die Antigene selbst zum Einsatz, sondern eine modifizierte mRNA, die die genetische Bauanleitung für die bakteriellen Proteine enthält. Diese wurde in Lipidnanopartikel (LNP) verpackt. Sowohl in Zellkultur als auch im Tierversuch führte die Impfung mit diesen mRNA-LNPs dazu, dass geimpfte Zellen die bakteriellen Proteine produzierten. Nach drei Impfungen im Abstand von jeweils zwei Wochen bildeten die Mäuse spezifische Antikörper gegen die bakteriellen Antigene. Zwei Wochen nach der dritten Impfung waren die Tiere vor einer tödlichen Dosis verschiedener Yersinia-Stämme geschützt.
Der besondere Trick: Um die Stabilität und Immunogenität des mRNA-Impfstoffs gegen die Pest zu erhöhen, nahmen die Forscher eine gezielte genetische Veränderung der Antigene vor. Sie fusionierten die bakteriellen Proteine gentechnisch mit einem Teil eines humanen Antikörpers – einem sogenannten Fc-Fragment –, das ebenfalls von der Impfstoff-mRNA codiert wurde. Solche Fc-Fusionen können nicht nur die Stabilität von Proteinen verbessern, sondern auch deren Aufnahme durch Immunzellen erleichtern. Die Autoren konnten zeigen, dass gerade diese Fusion von Antigen und Fc-Fragment die Grundlage für die schützende Immunantwort war – und zwar nicht nur gegen die Beulenpest, sondern auch gegen die gefährlichere Lungenpest.
Selten, aber gefährlich: Die ökonomische Logik hinter dem Pestimpfstoff
Bislang gibt es keinen zugelassenen, dauerhaft und zuverlässig wirksamen Pestimpfstoff. Dank verbesserter Hygiene und einer insgesamt gestärkten medizinischen Infrastruktur sind Pestinfektionen heute in den meisten Regionen der Welt selten. Wird die Erkrankung rechtzeitig erkannt, lässt sie sich in der Regel gut mit Antibiotika behandeln. Laut der WHO wurden zwischen 2010 und 2015 weltweit rund 3.200 Pestfälle gemeldet, von denen 584 tödlich verliefen. Das Auftreten ist meist lokal begrenzt – auch, weil die Patienten aufgrund der typischen Symptome schnell identifiziert und isoliert werden können.
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Weltweit betrachtet ist das Infektionsrisiko gering – das erklärt, warum sich eine Impfstoffentwicklung aus rein wirtschaftlicher Sicht bislang kaum gelohnt hat. Weder die niedrigen Fallzahlen noch die begrenzte geographische Verbreitung rechtfertigen den hohen Entwicklungsaufwand.
Plattformtechnologien wie die mRNA-Impfstoffherstellung könnten allerdings für Impfstoffhersteller zunehmend attraktiv werden. Sie ermöglichen kürzere Entwicklungszeiten und niedrigere Produktionskosten. Im Falle einer von der WHO ausgerufenen medizinischen Notlage von internationaler Tragweite können auch Zulassungsverfahren abgekürzt werden, wie zuletzt bei COVID-19. Damit könnten künftig auch Impfstoffe gegen seltene Erreger wirtschaftlich interessant werden – vor allem dann, wenn staatliche Beschaffungsprogramme den Absatz garantieren.
Pest und darüber hinaus – künftige Impfstrategien
Yersinia pestis gilt aufgrund seiner hohen Letalität weiterhin als potenzielle Biowaffe. Fachleute bezweifeln allerdings die tatsächliche Eignung des Erregers. Denn eine effektive Mensch-zu-Mensch-Übertragung über die Atemluft setzt sehr hohe Konzentrationen an Bakterien voraus.
Eine weitaus realere Bedrohung als ein biotechnisch optimierter Pesterreger wäre der weltweite Anstieg antibiotikaresistenter Keime. Nach Angaben der WHO sterben jährlich rund 1,3 Millionen Menschen direkt an Infektionen mit multiresistenten Bakterien – Tendenz steigend.
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Antibiotikaresistenz bedeutet, dass bakterielle Erreger mutieren oder Resistenzgene untereinander austauschen. Gängige Antibiotika können sie dann nicht mehr abtöten oder im Wachstum hemmen. In der Praxis heißt das: Selbst eine einfache bakterielle Infektion kann plötzlich lebensgefährlich werden. Vor diesem Hintergrund rücken präventive Strategien wie Impfungen wieder stärker in den Fokus – nicht nur gegen Erreger wie Yersinia pestis, sondern auch gegen alltägliche Krankenhauskeime.
Immunflucht statt Antibiotikaresistenz?
Allerdings stellt sich die Frage, wie dauerhaft der Schutz durch solche Impfstoffe tatsächlich sein würde. Die Erfahrungen mit den COVID-19-Impfstoffen zeigen, dass eine sogenannte Immunflucht – also das gezielte Umgehen der Impfantwort durch neue Virusvarianten – die Wirksamkeit von Impfstoffen stark einschränken kann. Könnte etwas Vergleichbares auch bei bakteriellen Erregern auftreten?
Bei Impfungen gegen HPV und andere Viren wurde beobachtet, dass sich bei Geimpften vermehrt Virusvarianten durchsetzen, gegen die die eingesetzten Impfstoffe weniger oder gar nicht wirksam sind. Dieses als „Replacement“ bezeichnete Phänomen kann den langfristigen Erfolg von Impfprogrammen infrage stellen.
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Bakterien mutieren in der Regel langsamer als Viren. Doch auch sie sind in der Lage, unter Selektionsdruck ihre Oberflächenstrukturen zu verändern – etwa durch Antigenvariation oder Verlust der Zielstrukturen. Das bedeutet: Auch Impfstoffe gegen bakterielle Erkrankungen könnten an Wirksamkeit verlieren, wenn sich die Zielstrukturen verändern oder unter Selektionsdruck durch Impfstoffe verschwinden.
Dauerhafter Schutz gegen komplexe bakterielle Erkrankungen dürfte also auch in Zukunft eine Herausforderung bleiben – selbst mit modernen Plattformtechnologien.
Grundlage für neue mRNA-Impfstoffe gelegt
Noch gänzlich ungeklärt sind die möglichen Nebenwirkungen eines mRNA-Impfstoffs gegen Pest. Das eingesetzte F1-Protein von Yersinia pestis beeinflusst die Funktion bestimmter Immunzellen. Auch die Kopplung an ein Fc-Fragment menschlicher Antikörper birgt im Prinzip das Risiko potenziell schädlicher Immunreaktionen. Allerdings liegen bislang keine Erkenntnisse darüber vor, ob es durch die Verwendung der bakteriellen Proteine zu unerwünschten Effekten kommen kann.
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Nach der Zulassung der COVID-19-Impfstoffe zeigte sich, dass das Spike-Protein nachweislich schädliche Eigenschaften besitzt und als zentraler Pathogenitätsfaktor von SARS-CoV-2 gilt. Während der COVID-19-Krise lockerten die Behörden die Zulassungsvoraussetzungen für mRNA-Impfstoffe deutlich, sodass Gefahrensignale offenbar nicht rechtzeitig erkannt wurden. Ob die notwendigen Sicherheitsstandards bei künftigen mRNA-Impfstoffen eingehalten werden, ist unklar – vor allem, wenn die Zulassung erneut im beschleunigten Verfahren im Rahmen einer medizinischen Notlage erfolgt.
Neue Technologie, alte Probleme?
Ein zentrales Problem der mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 ist ihre unkontrollierte Verteilung im Körper. Sie gelangen in zahlreiche Gewebe und führen dort über Wochen und Monate hinweg zur Produktion viraler Antigene. Die immunologischen Folgen dieser lang anhaltenden Bioverfügbarkeit sind bislang nur unzureichend erforscht. Es mehren sich jedoch Hinweise, dass sie chronische Entzündungsreaktionen, Autoimmunprozesse und möglicherweise auch eine längerfristige Schwächung des Immunsystems begünstigen können. Solche Risiken sind aber keine zufälligen Begleiterscheinungen. Sie sind die Folge der grundlegenden Wirkweise von mRNA-Impfstoffen.
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Hinzu kommen produktionstechnische Herausforderungen: Bei mRNA-Impfstoffen gab es eine erstaunliche Variabilität zwischen einzelnen Chargen sowie potenzielle Verunreinigungen. Solange diese Probleme nicht systematisch adressiert werden, sind ähnliche Schwierigkeiten auch bei künftigen mRNA-Impfstoffen – ob gegen Viren oder Bakterien – zu befürchten.
Weltweit befinden sich immer mehr Impfstoffkandidaten auf mRNA-Basis in der Entwicklung. Die geplante Ausweitung auf bakterielle Infektionskrankheiten dürfte diesen Trend weiter beschleunigen. Ob sich mRNA-Impfstoffe langfristig anstelle bewährter konventioneller Impfungen durchsetzen – und ob künftig auch gegen bislang gut behandelbare bakterielle Erkrankungen neue Impfempfehlungen ausgesprochen werden –, bleibt abzuwarten.
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