Wurde die Schwerkraft schon 200 Jahre vor Newton entschlüsselt?

Isaac Newton gilt als Erfinder der Schwerkraft, doch vielleicht war er nur der Erste, der sie in Worte fasste. Leonardo da Vinci, ein anderes Universalgenie, war ihm Jahre voraus und seine Ergebnisse waren erstaunlich nah am später berechneten Wert.
Wurde die Schwerkraft schon 200 Jahre vor Newton entschlüsselt?
Leonardo da Vinci oder Isaac Newton? Zwei Universalgenies, die 200 Jahre voneinander getrennt die Schwerkraft erforschten.Foto: gorodenkoff
Von , 31. August 2025

In Kürze:

  • 1687 veröffentlichte Isaac Newton (1642–1727) seine Grundgesetze der Bewegung, auch Newtonsche Gesetze genannt.
  • Leonardo da Vinci experimentierte bereits 200 Jahre früher mit fallenden Objekten und der Schwerkraft als Form einer Beschleunigung.
  • Forscher benötigten über 600 Jahre, um da Vincis Skizzen zu entschlüsseln.
  • Der von da Vinci ermittelte Wert der Fallbeschleunigung wich nur etwa 3 Prozent von Newtons Erkenntnissen ab.

 

Der englische Gelehrte Isaac Newton (1642–1727) ging als erster Mensch in die Geschichtsbücher ein, der die Bewegungsgesetze eines fallenden Körpers ermittelte. Er erkannte, dass ein Körper im freien Fall eine zunehmende Geschwindigkeit erreicht. Seine Fallbeschleunigung (in m/s²) definierte er mit der Konstante g = 9,81.

Doch etwa 200 Jahre vor ihm lebte ein weiteres Universalgenie namens Leonardo da Vinci (1452–1519). Er war nicht nur einer der besten Maler der Welt, sondern auch ein bahnbrechender Anatomieforscher und Ingenieur, der die ersten Pläne für Panzer und U-Boote entwarf.

Seine Genialität ist eines der faszinierendsten Rätsel der Menschheit. Forscher, die seine Notizbücher eingehend untersucht haben, behaupten, dass er auch Isaac Newton in seinem Verständnis der Schwerkraft voraus war.

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Versteckte Schätze

Da Vincis Geheimnis begann sich 2017 zu offenbaren, als Morteza Gharib, Professor für Ingenieurwesen und angewandte Wissenschaften an der Technischen Hochschule Kalifornien, in den Notizbüchern des Malers stöberte und etwas Interessantes entdeckte.

Prof. Gharib zog den sogenannten Codex Arundel heran, um zu erfahren, wie da Vinci mit seinen raffinierten Skizzen ein Gefühl von Fluss und Bewegung beschrieb. Eines Tages stieß er jedoch auf die Zeichnung eines gleichschenkligen, rechtwinkligen Dreiecks. Besonders interessant waren die drei Worte an der schrägen Seite – der Hypotenuse.

Abbildung a zeigt das gleichschenklige rechtwinklige Dreieck. Foto: California Institute of Technology

„Was mich faszinierte, war die Anmerkung, die Da Vinci neben die Zeichnung geschrieben hatte: ‚Equatione di Moti‘, also die Gleichungen der Bewegung. Ich war neugierig zu erfahren, was da Vinci mit diesem Begriff gemeint hat“, erzählt Prof. Gharib.

Wie hängt das Dreieck mit Bewegung zusammen? Und was wusste da Vinci in jenen frühen Tagen über die Gesetze der Bewegung und die Geschwindigkeit, mit der Gegenstände fallen?

Um dies zu untersuchen, versuchte der Professor zunächst, den Inhalt der Notizen zu verstehen, was eine Herausforderung darstellte. Zum einen verfasste der Künstler seine Notizen in der italienischen Sprache des frühen 16. Jahrhunderts, und zum anderen schrieb er die Worte gespiegelt.

Für die Entzifferung der Spiegelschrift wandte sich Prof. Gharib an Prof. Flavio Noca von der Fachhochschule Westschweiz. Zusammen mit Chris Roh von der Cornell University untersuchten sie die relevanten Zeichnungen eingehend.

War da Vinci seiner Zeit und Newton voraus?

Heute können Schüler die örtliche Fallbeschleunigung mittels Fadenpendel und Stoppuhr berechnen. Die dabei durch die Schüler ermittelten Werte liegen im Regelfall nahe der bekannten 9,81 m/s², bestätigte ein Physiklehrer gegenüber Epoch Times. „Die Abweichungen liegen im Rahmen der Messungenauigkeiten der Schüler.“ Das Experiment erfordert indes eine mehr oder weniger genaue Zeitmessung.

Die Natur des Freien Falls kann auch ein zweites Experiment mit der sogenannten Fallschnur eindrucks- und klangvoll zeigen. Dabei werden an die Schnur kleine Gewichte, wie Muttern oder Schrauben, geknotet. Wird die Schnur nun im Ganzen fallen gelassen, erzeugen die Gewichte am Boden ein gleichmäßiges oder schneller werdendes Klack-Klack-Klack. Aus den Abständen der Gewichte und der Geräusche lässt sich wiederum die Schwerkraft ermitteln.

Doch wie konnte da Vinci die Geschwindigkeit fallender Objekte messen? Uhren, die die Zeit auf Sekundenbruchteile genau messen konnten, gab es theoretisch zu seinen Lebzeiten noch nicht. Die erste Pendeluhr stammt erst aus dem Jahr 1656.

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Krug und Dreieck ersetzen Stoppuhr

Eine zweite Zeichnung, die dem ersten Dreieck ähnelte, brachte den Forschern schließlich die Erkenntnis. So könnte da Vinci die Fallbeschleunigung durch ein Experiment mit Krug und Körnern entschlüsselt haben.

In der Zeichnung ist das Gefäß zu sehen, das sich horizontal bewegt, während nacheinander Körner aus ihm herausfallen. Dazu hat da Vinci sorgfältig notiert, wo sich jedes der herausgefallenen Körner befindet, nachdem der Krug eine bestimmte Strecke zurückgelegt hat.

Fällt ein Korn aus dem stillstehenden Krug, fällt es senkrecht nach unten. Wird der Krug nach jedem Fall ein Stückchen bewegt – und stoppt wiederum –, bevor das nächste Körnchen fällt, „verlängert“ sich das Dreieck unter dem Einfluss der Schwerkraft rasch nach unten. Grund dafür ist, dass die Körner mit zunehmender Geschwindigkeit fallen, während sich der Krug stückweise bewegt.

Fallen die Körner aus einem ruhenden Krug, fallen sie senkrecht nach unten. Lässt man sie nacheinander an verschiedenen Orten fallen, ergibt sich eine Parabel. Foto: ts/Epoch Times

Bewegt sich der Krug nicht stückweise, sondern gleichmäßig, während die Körner aus ihm herausfallen, ergibt sich eine senkrechte Linie, da sich sowohl Krug als auch alle Körner mit derselben Geschwindigkeit seitlich bewegen.

Fallen die Körner aus einem gleichmäßig bewegten Krug, fallen sie auf identischen Wurfparabeln nach unten, bewegen sich aber alle mit der gleichen Geschwindigkeit seitlich, sodass sie sich immer untereinander befinden. Foto: ts/Epoch Times

Damit die fallenden Körner wie bei da Vinci ein Dreieck ergeben, darf sich der Krug nicht einfach nur bewegen. Vielmehr muss das Gefäß selbst eine Beschleunigung erfahren. Anhand der Zeichnung des Malers gehen die Forscher davon aus, dass da Vinci diesen Zusammenhang erkannte.

Doch seine Überlegungen gingen offenbar noch weiter. Damit das Dreieck gleichschenklig und rechtwinklig wird, müssen die Fallbeschleunigung der Körner und die horizontale Beschleunigung des Kruges übereinstimmen – Equatione di Moti, die Gleichung der Bewegungen.

Fallen die Körner aus einem gleichmäßig beschleunigten Krug, fallen sie auf verschiedenen Wurfparabeln nach unten und es ergibt sich ein Dreieck. Stimmen Fallbeschleunigung und die Beschleunigung des Kruges überein, wird das Dreieck gleichschenklig, wie in da Vincis Skizze. Foto: ts/Epoch Times

Geglücktes Experiment

Da Vinci versuchte, diese Beschleunigung mathematisch zu beschreiben, was wiederum aus seiner ersten Zeichnung hervorgeht. Darin teilte er die horizontale Linie in fünf Abschnitte, die immer länger werden. Je näher der Abschnitt am ersten, senkrecht fallenden Korn liegt, desto kürzer ist er.

Die Forscher schlossen daraus, dass die verschiedenen Abschnitte die Entfernungen darstellten, die der Krug in gleichen Zeitintervallen zurückgelegt hatte. Im ersten Abschnitt war der Krug relativ langsam, sodass der Abschnitt kurz ist. Im weiteren Verlauf beschleunigte der Krug seine Bewegung, sodass er in derselben Zeitspanne eine größere Strecke zurücklegen konnte und der Abschnitt daher länger ist.

Laut den Autoren der Studie hat da Vinci dabei jedoch nicht ganz ins Schwarze getroffen. Beim Versuch, sein Vorgehen nachzuvollziehen, entdeckten sie einen entscheidenden Fehler:

„Wir haben gesehen, dass Leonardo sich damit beschäftigt hat, aber er modellierte es so, dass die Fallstrecke des Objekts proportional zu 2 ^ t war, anstatt proportional zu t ^ 2“, erklärte Roh. Mit anderen Worten: da Vinci ging von einer Verdopplung der Geschwindigkeit des Kruges und der Körner nach jedem Abschnitt aus. Er verwendete also eine exponentielle, statt einer quadratischen Funktion.

„Das ist falsch“, so Roh weiter, „aber wir haben später herausgefunden, dass er diese falsche Gleichung auf die richtige Weise verwendet hat.“ In seinen Notizen illustrierte da Vinci die fallenden Körner, über bis zu vier Zeitintervalle, ein Bereich, in dem die Graphen beider Funktionen eng beieinander liegen.

Marmorstatue von Leonardo da Vinci

Die Marmorstatue Leonardo da Vincis in Florenz von Luigi Pampaloni. Foto: canbedone/iStock

Da Vincis Geheimnis, Newtons Glück

Ob da Vinci tatsächlich einen Wert der Schwerkraft ermitteln konnte, ist unklar und noch immer Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Die Forscher um Gharib und Roh kommen indes zu dem Schluss, dass das Ergebnis des italienischen Malers im Durchschnitt sehr nah an den Wert herangekommen wäre, den Newton später ermittelte. Die Abweichung hätte nur etwa 3 Prozent betragen – und damit weniger als bei manchem Schüler.

„Wir wissen nicht, ob da Vinci weitere Experimente durchgeführt oder diese Frage tiefer untersucht hat“, fasst Gharib zusammen. „Aber die Tatsache, dass er sich Anfang des 16. Jahrhunderts auf diese Weise mit diesem Problem auseinandersetzte, zeigt, wie weit sein Denken seiner Zeit voraus war.“

Da Vinci verfügte zwar noch nicht über die klare mathematische Sprache, die Newton für seine Entdeckung verwendete, aber es ist offensichtlich, dass ihm sein kreatives Experiment prinzipiell ermöglichte, eine beeindruckende Annäherung an den richtigen Wert zu erreichen.

Im Gegensatz zu Newton veröffentlichte da Vinci seine Ergebnisse nie. Es ist interessant zu überlegen, was passiert wäre, wenn die Zeichnungen bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts veröffentlicht worden wären. Hätte die Menschheit dann früher zu den Gravitationsgleichungen Newtons gefunden?

Portrait von Isaac Newton

Portrait des Isaac Newton (1642–1727), gemalt von Godfrey Kneller. Foto: Gemeinfrei

Mit Material der Israelischen Epoch Times



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