Heldenhafter Übermut: Wenn die Götter vermeintlich gute Absichten bestrafen

In Kürze:
- Die Geschichte des Titanen Prometheus ist eine der bekanntesten aus der griechischen Mythologie.
- Zweimal versuchte der übermütige Titan, die Götter auszutricksen und seine geliebten Menschen zu bevorzugen.
- Trotz Voraussicht scheiterte der vermeintliche Held und brachte den Zorn der Götter über sich – und die Menschen.
Eine der faszinierendsten Figuren der gesamten antiken griechischen Mythologie ist Prometheus. Er war weder ein Gott noch ein Mensch, sondern ein Titan – genauer gesagt, der Sohn eines Titans. Dieses Geschlecht wurde von Kronos – dem Vater von Zeus – regiert. Doch die Herrschaft war chaotisch. Es galt das Recht des Stärkeren, sodass jeder gegen jeden kämpfte. Wer stark genug war, tat, was er wollte.
Zeus beendete die Herrschaft der Titanen nach einem zehnjährigen Krieg. Wahrscheinlich hat die Dauer von zehn Jahren eine besondere Bedeutung, denn in vielen alten Kulturen symbolisiert die Zahl Zehn Vollendung und kosmische Ordnung.

Das Gemälde „Sturz der Titanen“ von Jacob Jordaens (1593–1678). Foto: Gemeinfrei
In der hebräischen Tradition markieren die Zehn Gebote in ähnlicher Weise den Übergang vom Chaos zur Ordnung und unterstreichen die göttliche Autorität. Für die alten Griechen war die Zehn die Zahl der Vollkommenheit und stand für Harmonie und Gleichgewicht.
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Nachdem Zeus die Titanen in den Tartaros – einem Teil der Hölle – verbannt hatte, schuf er also Ordnung. Zu ihren Merkmalen gehörten unter anderem Rationalität, Hierarchie, Gesetz, Gerechtigkeit, Frieden, Stabilität und auch Schönheit. Obwohl Zeus der mächtigste Gott war, war er ebenfalls an Regeln gebunden. Jene Ordnung, Gerechtigkeit und Gesetze, die er selbst eingeführt hatte, galten auch für ihn.
Aber wenn Prometheus auch ein Titan war, warum verbannte ihn Zeus nicht ebenfalls in die Hölle?
Prometheus: Vom Freund der Götter zum Freund der Menschen
Ein Teil der Antwort auf diese Frage hat mit der Tatsache zu tun, dass der Name Prometheus „Vorausdenken“ bedeutet. So war er jemand, der voraussehen konnte und wusste, dass die Titanen den Krieg gegen Zeus verlieren würden. Er schloss sich Zeus an und wurde sein Verbündeter. Die Allianz zwischen den beiden war jedoch nur von kurzer Dauer, da Prometheus den Menschen durch zweimal einen Vorteil gegenüber den Göttern verschaffen wollte.
Zunächst täuschte Prometheus Zeus während einer Opfergabe, indem er die mageren Knochen in Fett wickelte und das nahrhafte Fleisch unter Eingeweiden versteckte. Als Zeus den schlechteren Teil wählte, behielten die Menschen das gute Fleisch.
Doch Zeus hatte den Trick durchschaut und war wegen des Täuschungsversuches auf Prometheus wütend. Um ihn für seinen Frevel zu bestrafen, richtet der Göttervater seinen Zorn auf die Menschen – jene Wesen, die Prometheus liebte und denen er helfen wollte.

Die Erschaffung der Menschheit durch Prometheus unter den Augen von Athene. Foto: Gemeinfrei
Missglückte Gunst
Als Strafe sorgte Zeus dafür, dass die Menschen keinen Zugriff auf das Feuer erhielten. Die Strafe bezog sich nicht auf die Qualität der geopferten Speisen, sondern auf den Versuch, die Götter zu hintergehen. Im Griechischen wird derartiger Übermut „Hybris“ genannt.
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Dass die Götter nur den schlechteren Teil des Opfers erhielten, war nicht wichtig. Sie aßen ohnehin kein Fleisch, sondern tranken himmlischen Nektar. Der Mensch jedoch benötigt Fleisch. Ohne Feuer waren sie gezwungen, wie Tiere das Fleisch roh zu essen. Damit wäre das liminale Dasein der Menschen – also der Schwellenzustand zwischen Gott und Tier – verloren gegangen.
Im Wesen der Liminalität scheint etwas Bedrohliches und Fremdes zu liegen. Shakespeares Hamlet nimmt darauf Bezug, wenn er die berühmte Bemerkung macht, der Mensch sei „im Handeln wie ein Engel, im Denken wie ein Gott“, letztlich aber „die Quintessenz des Staubes“.
Dieses Zitat bringt den paradoxen Zustand auf den Punkt – irgendwo zwischen dem Göttlichen und dem Sterblichen, zwischen Prometheus‘ Feuer und dem Lehm, aus dem der Mensch laut Mythen geformt sein soll.
Wie Hamlet erinnert uns der Mythos von Prometheus daran, dass menschliche Größe – unsere Vernunft, Kreativität und unser Streben – neben Gebrechlichkeit, Leid und den unvermeidlichen Folgen des Staubes existiert. Wir streben nach dem Himmel, sind aber an die Erde gebunden. An diesem Punkt erkennt Prometheus, dass sein Trick misslingt.
Der zweite Betrug
Das Ergebnis: Prometheus verdoppelt seinen Einsatz, damit seine geliebten Menschen nicht zugrunde gehen oder in den Status der Tiere zurückfallen. Also stiehlt er den Göttern das Feuer aus der Schmiede des Hephaistos – dem Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Damit schenkt er der Menschheit die grundlegenden Werkzeuge der Technologie und des Überlebens.
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Im tieferen Sinne bestiehlt Prometheus damit auch Athene, die Göttin der Weisheit. Denn Feuer spendet nicht nur Wärme, sondern wird auch als Funke von Techne und Logos – von Geschick und Vernunft – angesehen. Feuer steht für Licht und, im geistigen Sinne, für Erleuchtung.

Das Gemälde „Prometheus bringt der Menschheit das Feuer“ von Heinrich Friedrich Füger (1751–1818). Foto: Gemeinfrei
Doch Prometheus bringt das Feuer nicht etwa in einem prächtigen Gefäß zu den Sterblichen, sondern in einem hohlen Fenchelstiel – dem sogenannten Narthex. Dieses bescheidene, oft übersehene Detail ist jedoch von großer Bedeutung.
Den faserigen, feuerfesten Pflanzenstiel verwendeten die antiken Griechen oft zur Aufbewahrung und zum Transport von Glut. Durch die Wahl eines so natürlichen, alltäglichen Gegenstands verkörpert Prometheus den Betrüger, der List statt Gewalt einsetzt.
Der Fenchelstiel wird zum einfachen Kanal, durch den göttliche Macht in die Hände der Menschen gelangt, und somit zum Symbol der technologischen und kulturellen Revolution. Doch es steckt eine noch tiefere Deutung dahinter: Zivilisation basiert oft auf kleinen, praktischen Handlungen, die das Gewöhnliche in etwas Außergewöhnliches verwandeln.
Prometheus und Epimetheus: Zwei Brüder, ein Schicksal
Doch der Diebstahl des Feuers ist aus einem zweiten Grund brisant. Und dieser betrifft Epimetheus, den Bruder von Prometheus. Epimetheus bedeutet „Nachdenken“ und ist natürlich das Gegenteil von Vorausdenken, weshalb er stets die Konsequenzen seiner Handlungen erst im Nachhinein erkennt.
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Epimetheus ist in der griechischen Mythologie für die Erschaffung der Tiere zuständig. Er verleiht allen besondere Eigenschaften zum Überleben: Einige sind schnell, andere können fliegen, andere können sich tarnen, manche sind groß oder stark und so weiter.
Zuletzt ist der Mensch an der Reihe, doch es sind keine nützlichen Eigenschaften mehr übrig, mit denen er erfolgreich mit den wilden Tieren konkurrieren kann. Ohne Feuer ist die Menschheit also dem Untergang geweiht.
In diesem Zusammenhang ist es für die Menschheit unerlässlich, Feuer zu haben, und Prometheus, der die Menschheit liebt, muss es stehlen, obwohl er durch seine Vorausschau genau weiß, welche Folgen dies für ihn haben wird. Und so kommt es letztlich auch: Zeus bestraft Prometheus. Aber auch die Menschen müssen büßen – doch wofür und wie?
Fortsetzung folgt
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Prometheus, Part 1: What We Can Learn from the Liminal Hero“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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