Kognitiv stark, sozial schwach – Studie: Frühkindliche Bildung fördert Ellenbogengesellschaft

In Kürze:
- Forscher prüfen Bildungsprogramme aus über 50 Ländern und erkennen dabei ein klares Muster.
- Bildungspolitik setzt früh auf Wettbewerb und Leistung – mit riskanten Folgen für das soziale Miteinander.
Logisches Denken, Konzentrationsvermögen, Sprachverarbeitung – keine Frage, kognitive Fähigkeiten sind für viele Lebensbereiche erforderlich. Doch wenn nur diese durch bildungspolitische Programme gefördert werden, treten soziale Kompetenzen immer mehr in den Hintergrund, wie eine Anfang Juli veröffentlichte weltweite Studie ans Licht brachte. Für eine Gesellschaft kann dies fatale Folgen haben.
Wie kam es zu der Studie?
Forscher der Technischen Universität München (TUM), der Universität Luxemburg und der Autonomen Universität Barcelona hatten bemerkt, dass soziale Kompetenzen, die für das Funktionieren von Gesellschaften wichtig sind, sowie Bildungsvoraussetzungen in Programmen zur frühkindlichen Bildung vernachlässigt werden. Daher haben sie sich des Themas angenommen. Sie sind nach ihrer Aussage die Ersten, die untersucht haben, ob ein globales Gesamtbild erkennbar ist, auf welchen Grundhaltungen diese Programme basieren.
Zu diesem Zweck analysierte das Forschungsteam über 90 offizielle Dokumente aus 53 Staaten aller Kontinente sowie von der Europäischen Union und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die auch für die Erhebung der PISA-Studie verantwortlich ist. Bei den Dokumenten aus den Jahren 1999 bis 2023 handelte es sich vor allem um Leitlinien, Bildungspläne und ähnliche Veröffentlichungen, die grundlegende bildungspolitische Ausrichtungen beschreiben.
Soziale Kompetenzen ausgeklammert
Die Auswertungen zeigten, dass in den Programmen zur frühkindlichen Bildung kognitive Fähigkeiten in den Mittelpunkt gestellt werden, etwa Sprache, Verarbeitung von Informationen oder räumliches Vorstellungsvermögen.
Eine untergeordnete Rolle hingegen spielen laut Forschern soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Toleranz und Respekt, obwohl diese für den Zusammenhalt der Gesellschaft von Bedeutung sind – nicht nur im privaten und beruflichen Umfeld.
[etd-related posts=“4572018, 5213662″]
In mehreren internationalen Berichten über frühkindliche Bildung sei bereits anerkannt worden, dass Frieden und Wohlstand künftiger Gesellschaften vom sozialen Zusammenhalt abhängen, so die Autoren der Studie weiter. Allerdings würden sozio-emotionale Kompetenzen, also das Erkennen und Verarbeiten von Emotionen, in den Papieren der internationalen Organisationen und einiger Staaten einbezogen.
Die Forscher kritisieren:
„Die Programme sehen weltweit überwiegend Talent, Anstrengung und Eigenverantwortung als zentral für den späteren Bildungserfolg. Faktoren, die vom Individuum nicht beeinflusst werden können, werden dagegen kaum erwähnt.“
Was Erfolg ausmacht
Weltweit weisen viele Programme zur frühkindlichen Bildung zwei Defizite auf, erklärt Studienautor Prof. Samuel Greiff vom Lehrstuhl für Educational Monitoring and Effectiveness der TUM. Er sagt:
„Die Vorstellung, dass individueller Erfolg auf Talent und Anstrengung beruht, ist in Teilen richtig. Sie ignoriert aber, wie stark Erfolg von strukturellen Faktoren abhängt. Und wenn soziale Kompetenzen in Bildungsplänen fehlen, wird Kindern die Förderung von Fähigkeiten vorenthalten, die für ihre Lebenstüchtigkeit und ihren beruflichen Erfolg von großer Bedeutung sind.“
[etd-related posts=“5197032,5207872″]
Faktoren, die von Kindern nicht beeinflusst werden könnten, würden kaum erwähnt. Zu diesen Faktoren zählen neben dem Bildungshintergrund und dem Einkommen der Eltern auch belastende Lebensereignisse wie Flucht oder Krankheiten. Ebenso werde kaum thematisiert, welchen Stellenwert die Unterstützung durch Familie, Freunde, Lehrkräfte und die Gesellschaft hat.
Das „dominierende Weltbild“ sei aber auch auf der gesellschaftlichen Ebene bemerkenswert.
„In Zeiten, in denen wir uns Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Demokratieverständnis machen, ist ein Verzicht auf die Förderung der dafür nötigen Kompetenzen kontraproduktiv“, stellt Prof. Greiff klar.
Bildungspolitik heizt Wettbewerb unter Kitas an
Aus Sicht der Wissenschaftler sind weitere Forschungen notwendig, um zu untersuchen, in welchem Ausmaß sich die bildungspolitischen Grundlinien in der Praxis der frühkindlichen Bildung niederschlagen.
„Auf der individuellen Ebene könnten Kinder verinnerlichen, dass mit Anstrengung alles erreicht werden kann – ohne zu verstehen, dass Erfolg auch von ihren Mitmenschen oder schlichtweg von Zufall abhängt“, erklärt Prof. Greiff.
[etd-related posts=“3841201,3782970″]
„Auf der Systemebene sehen wir in manchen Ländern die Gefahr, dass schon bei Kitas und Kindergärten ein Wettbewerb entsteht, welche Einrichtungen am meisten in die kognitive Leistungsfähigkeit der Kinder investieren, wobei andere Bildungsziele vernachlässigt werden.“
Sowohl für den Zusammenhalt von Gesellschaften als auch für die heutige Berufswelt ist das Sozialverhalten laut Wissenschaftlern von großer Bedeutung. Kinder sollten schon vor der Einschulung lernen zu kooperieren, ein grundlegendes Verständnis für Toleranz und Respekt zu entwickeln sowie Probleme gemeinsam zu lösen. Aber wie gut Kinder lernen, hängt letztlich auch davon ab, in welchen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen sie aufwachsen.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion