Welleneffekt mit Langzeitwirkung: Drei Generationen voller Empathie

Inmitten einer überwältigenden Fülle von Erziehungsmethoden ist Empathie möglicherweise das bestgehütete Geheimnis von und für Eltern. Für die amerikanische Erziehungspsychologin und Bestsellerautorin Michele Borba ist Empathie geradezu eine „Superkraft“.
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Empathisches Verhalten ist nicht nur ansteckend, sondern auch vererbbar.Foto: Jacob Wackerhausen/iStock
Von 20. November 2025

Was haben eine alte Brosche von Oma Hilde und Empathie gemeinsam? Ganz einfach: Beide sind vererbbar. Wie neue Forschungsergebnisse zeigen, haben Eltern die Gabe, Eigenschaften weiterzugeben, die Kinder und Enkel in unserer zunehmend entfremdeten Welt vor Einsamkeit schützen. Wertvolle Familienerbstücke und körperliche Eigenschaften wie ein Muttermal sind also nicht das Einzige, was von Generation zu Generation weitergegeben werden kann.

Eine im Jahr 2024 in „Child Development“ veröffentlichte Studie [1] begleitete Familien über drei Generationen und 25 Jahre hinweg. Die Forscher stellten fest, dass Empathie eine Eigenschaft ist, die Zeit und Beziehungen überdauert. Die „Empathieblaupausen“, die wir von unseren Eltern empfangen, prägen die Art und Weise, wie wir unseren Freunden begegnen und später unsere eigenen Kinder erziehen.

Durch die Langzeitstudie kam ans Licht, dass die Empathie von Müttern gegenüber ihren 13-jährigen Kindern einen Grundstein legt. Im Alter von 13 bis 19 Jahren werden diese Jugendlichen im engen Freundeskreis selbst empathisch auftreten. Später werden sie zu empathischen Eltern, wovon wiederum ihre Kinder profitieren.

„Gute Eltern vermitteln ihren Kindern wichtige Lebenskompetenzen, und Empathie – insbesondere die Fähigkeit, andere Menschen richtig zu ‚lesen‘ – gehört zu den wichtigsten dieser Fertigkeiten“, erklärt William Ickes, Sozial- und Persönlichkeitspsychologe und renommierter Professor für Psychologie, in einem Gespräch mit Epoch Times.

Empathie ist eine Schlüsselfähigkeit, die sinnvolle soziale Beziehungen ermöglicht, die wiederum für Gesundheit und Wohlbefinden entscheidend sind.

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Im Jahr 2018 stellten Forscher [2] fest, dass Vorschulkinder, die von einfühlsamen Eltern mit starker emotionaler Empathie erzogen wurden, einen um knapp ein Drittel niedrigeren Cortisolspiegel aufwiesen als andere Altersgenossen, die in einem weniger empathischen Umfeld aufwuchsen. Ein erhöhter Cortisolspiegel kann zu einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen führen, wie einem geschwächten Immunsystem und einer schlechteren sozialen Anpassung.

Dieselbe Studie zeigte zudem, dass Kinder mit einfühlsamen Eltern ihre Gefühle besser kontrollieren können und weniger unter Kopfschmerzen, Angstzuständen und Depressionen litten.

„Wir verkennen, wie wichtig Beziehungen und wie einsam wir als Gesellschaft geworden sind“, sagte die Erziehungspsychologin und Bestsellerautorin Dr. Michele Borba gegenüber Epoch Times. Durch eine empathische Erziehung werden Kinder und später auch deren Nachwuchs nicht nur auf natürliche Weise vor Gefahren durch Isolation und Einsamkeit geschützt, sondern gleichzeitig auf finanzielle, akademische und führungsbezogene Erfolge vorbereitet.

Wie Empathie schwindet

Untersuchungen wie im Buch „Unselfie“ von Michele Borba zeigen, dass Empathie Altruismus, Großzügigkeit und Zivilcourage fördert und in der Zukunft Glück, Erfolg, Gesundheit und Wohlbefinden hervorbringt.

Empathie entsteht bereits im Babyalter und wird durch enge persönliche Interaktionen gefördert. „Die Samen der Empathie werden in unserer Eltern-Kind-Beziehung gesät, in der unsere Babys zum ersten Mal Vertrauen, Bindung, Empathie und Liebe erfahren“, so Borba.

Doch diese Samen werden durch das digitale Zeitalter empfindlich gestört. In einer von Bildschirmen geprägten Welt schwinden die Rahmenbedingungen, die Empathie zum Gedeihen benötigt.

„Man sieht nur noch die Oberfläche einer Person“, sagt Borba. Die Fähigkeit, sinnvolle Beziehungen zu pflegen, werde heutzutage beeinträchtigt. „Wir können einander nicht mehr so ‚lesen‘ wie früher.“

„Selbstbezogenheit tötet Empathie – das Fundament der Menschlichkeit“, schreibt Borba in ihrem Buch „Unselfie: Why Empathetic Kids Succeed in Our All-About-Me World“ (zu Deutsch etwa: Unselfie: Warum empathische Kinder in unserer Alles-dreht-sich-um-mich-Welt erfolgreich sind).

Junge Menschen werden zunehmend narzisstisch und grausamer gegenüber Gleichaltrigen. Sie haben ein schwaches moralisches Urteilsvermögen und leiden unter psychischen Problemen, erklärt Borba weiter.

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„Das Wohlergehen unserer Kinder steht auf dem Spiel, aber auch ihre Empathie. Mit zunehmender Angst nimmt die Empathie ab. Es ist schwierig, Mitgefühl für andere zu empfinden, wenn man sich im ‚Überlebensmodus‘ befindet. Und genau in diesem Zustand befinden sich zu viele unserer Kinder. Das führt zu einer sogenannten Empathielücke“, fügt die Psychologin hinzu.

Nach ihrer Aussage haben drei soziologische Phänomene in den vergangenen Jahrzehnten zur Verbreitung von Einsamkeit und Narzissmus beigetragen:

  • Die Abhängigkeit von Bildschirmen
  • Die Priorisierung der äußeren Leistungen von Kindern gegenüber ihrem Charakter
  • Der Verlust tugendhafter Rollenmodelle

Dimensionen der Empathie

Das Wort „Empathie“ leitet sich von dem altgriechischen Wort „empatheia“ ab und bezeichnet laut Duden die „Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellung anderer Menschen einzufühlen“, also das Einfühlungsvermögen. Empathie ist ein wichtiger Aspekt der emotionalen Intelligenz.

Der schottische Philosoph David Hume, Aufklärungsphilosoph, prägte die Aussage, dass sich die Seelen der Menschen gegenseitig wie Spiegel verhalten. Mehr als 250 Jahre später, in den 1990er-Jahren, wurde Humes Erkenntnis durch die bahnbrechende Entdeckung [3] der Spiegelneuronen quantifiziert.

Wie aus einer Publikation aus dem Jahr 2023 [4] hervorgeht, werden diese speziellen Nervenzellen automatisch aktiviert, wenn man sieht, wie jemand anderes berührt wird. Aus diesem Grund zucken viele Menschen zusammen, wenn ein Mitschüler bei einem Vortrag ins Stottern kommt, oder sie verziehen instinktiv das Gesicht, wenn ein Freund beim Fußballspielen unglücklich stürzt. All dies geschieht unbewusst.

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Die Neurowissenschaft hat zwei Arten von Empathie identifiziert, die von unabhängigen Gehirnstrukturen geleitet werden: emotionale Empathie, bei der es darum geht, die Gefühle anderer instinktiv zu spüren und zu spiegeln, sowie kognitive Empathie, die darauf abzielt, die Gedanken anderer zu verstehen.

Einfühlsame Eltern benötigen beides. Durch emotionale Empathie können Eltern den Schmerz ihrer Kinder spüren und darauf reagieren, als wären sie selbst betroffen. Kognitive Empathie ermöglicht ihnen, die Gedanken ihrer Kinder zu deuten, nonverbale Absichten zu entschlüsseln und fürsorglich zu reagieren.

Empathie ist neben anderen Faktoren ein zentraler Teil der emotionalen Intelligenz, die verschiedene Lebensbereiche wie schulische Leistungen, Führungserfolg sowie psychosomatische und körperliche Gesundheit beeinflusst.

Väter einbeziehen

Seit Jahrzehnten konzentriert sich die Forschung zu elterlicher Empathie und sicherer Bindung fast ausschließlich auf Mütter. Eine umfassende Metaanalyse [5] aus dem Jahr 2024 hat jedoch gezeigt, dass die Sensibilität des Vaters für die Förderung einer gesunden Bindung zum Kind ebenso entscheidend ist wie die der Mutter. Bei Müttern führt Sensibilität zu einer 26-prozentigen Verbesserung der Bindung zu ihren Kindern, bei Vätern sind es immerhin 21 Prozent.

Spielzeit mit Papa. Foto: petrunjela/iStock

Eine weitere Studie von 2022 [6] ergab, dass werdende Väter mit größerer kognitiver Empathie sechs Monate nach der Geburt eine stärkere Bindung zu ihrem Neugeborenen aufbauen konnten.

Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, Väter in Gespräche und zukünftige Forschungen über die Bindung zu Kindern und emotionale Fürsorge einzubeziehen.

Empathie kann man lernen

Doch was bedeutet es, wenn Sie von weniger einfühlsamen Eltern aufgezogen wurden? Sind Sie dann zu einem Leben voller emotionaler Verwirrung und verpasster Chancen verdammt? Nicht unbedingt.

„Es gibt immer Hoffnung, aber Hoffnung beginnt mit Bewusstsein“, sagt Borba.

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Empathie sei keine feststehende Eigenschaft, sondern eine Fähigkeit, die in jeder Lebensphase kultiviert werden könne – vorausgesetzt, dass wir unser Herz öffnen. Dabei verweist sie auf die Geschichte von Darren, der in seiner Kindheit schwer traumatisiert wurde.

Der Junge wuchs ohne emotionale Bindung auf und wurde in zahlreiche Pflegefamilien abgeschoben. Er misstraute anderen Menschen so sehr, dass er bei jeder Berührung zusammenzuckte.

Als Darren jedoch mit Evan, einem schwer zu beruhigenden sechs Monate alten Säugling, in Kontakt kam, veränderte sich sein Bewusstsein. Er spürte Evans Unbehagen bei Berührungen, ähnlich wie er es selbst empfand. Schließlich gelang es Darren, Evan zu beruhigen, wodurch er zum ersten Mal die Kraft emotionaler Zuwendung erlebte. Dieser Moment eröffnete Darren ein neues Selbstbild: Er war nicht länger der unerwünschte Junge, sondern jemand, der anderen Liebe und Nähe spenden konnte.

Entsprechend diesem Beispiel soll man laut Borba Empathie als etwas Aktives betrachten, das durch bewusstes Verhalten trainiert werden kann.

Wenn wir Emotionen wahrnehmen, die Sichtweise anderer verstehen, schmerzhafte Empfindungen verarbeiten und freundlich sind, können wir unseren Fokus vom „Ich“ zum „Wir“ verlagern, erklärt sie.

Als Darren Evan zu seiner Mutter zurückbrachte, stellte er sich die entscheidende Frage: „Wenn dich niemand jemals geliebt hat, kannst du dann trotzdem ein guter Vater sein?“ – „Natürlich kannst du das“, lautet Borbas Antwort.

Dafür sei es nie zu spät. „Man muss nur die Hand ausstrecken und fühlen“, so die Psychologin weiter. Es sei einfach wunderbar, dass Evan Darren ein neues Selbstbild vermittelt habe – jemand, der etwas zurückgeben könne. „Was für ein großartiger Ansatz. Du handelst so, wie du dich selbst betrachtest.“

Empathische Wiedergeburt

„Wenn man häufig Empathie praktiziert, verändert sie die eigene Identität. Man beginnt, sich selbst als fürsorgliche Person zu betrachten, als widerstandsfähiger“, erklärt Borba.

Sich Empathie zur Gewohnheit zu machen, sei ein transformatives Geschenk, das neue Identitäten schafft. Beide Seiten – der Geber und der Empfänger – würden glücklicher und gesünder. Und dieser Umstand wirke nicht nur im gegenwärtigen Moment, sondern beeinflusse auch zukünftige Generationen.

„Das Endergebnis ist nicht nur Empathie. Dein Endergebnis ist die Gutherzigkeit, etwas zurückzugeben“, fährt Borba fort. „Wir sind zu einer materialistischen Gesellschaft geworden, in der wir eher nehmen als geben wollen, obwohl Untersuchungen zeigen, dass man glücklicher ist, wenn man gibt statt nimmt.“

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Wir hören häufig davon, dass Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden. Machen wir uns bewusst, dass es auch Forschungen gibt, die das umgekehrte Phänomen beleuchten: die Weitergabe von Empathie als wesentliche psychologische Stütze.

„Empathie ist wie eine Superkraft“, ist sich Borba sicher. „Sie ist ein Faktor für Wohlbefinden und Glück, den wir ganz offensichtlich übersehen.“

Wenn wir unseren Kindern aktives Zuhören vorleben und ihre emotionale Widerstandsfähigkeit fördern, gestalten wir nicht nur ihre Zukunft, sondern setzen gleichzeitig den Grundstein für das emotionale Erbe künftiger Generationen. Sobald unsere Kinder die Welt mit den Augen anderer sehen können, geht die Saat für ein sinnvolles und produktives Leben auf.

[1] „Empathy across three generations: From maternal and peer support in adolescence to adult parenting and child outcomes“, 22. Mai 2024, „SRCD“

[2] „The Relations of Maternal Practices and Characteristics to Children’s Vicarious Emotional Responsiveness“, Juni 1992, „JSTOR“

[3] „Motor facilitation during action observation: a magnetic stimulation study“, Juni 1995, „Journal of Neurophysiology“

[4] „Vicarious touch: Overlapping neural patterns between seeing and feeling touch“, September 2023, „NeuroImage“

[5] „Maternal and paternal sensitivity: Key determinants of child attachment security examined through meta-analysis“, 2024, „Psychological Bulletin“

[6] „Stronger mentalizing network connectivity in expectant fathers predicts postpartum father-infant bonding and parenting behavior“, 26. Januar 2022, „Taylor Francis Online“

Dieser Artikel erschien zuerst in der englischen Ausgabe der Epoch Times mit dem Titel „Empathy: A Trait 3 Generations Will Inherit“. (deutsche Bearbeitung sua)



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