Minuspreise beim Strom explodieren: Volkswirt nennt zwei Hauptgründe

In Kürze:
Die Häufung der Minuspreise hat deutlich zugenommen. Ein Trend zeigt sogar ein exponentielles Wachstum.
Laut Enpal ist diese Entwicklung unter anderem Ausdruck einer zunehmenden Diskrepanz zwischen Stromerzeugung und -nachfrage.
Der Volkswirt Gösta Jamin beschreibt die aus seiner Sicht zwei Gründe für die steigende Anzahl an Minuspreisen.
Mehr Erneuerbare könnten künftige Höchstpreise bei Strommangel kaum reduzieren.
Die Kernkraft könne die Strompreise senken, aber auch keine Minuspreise vermeiden.
Die Börsenstrompreise haben eine zentrale Bedeutung für den gesamten Strommarkt. Ihr Verlauf gleicht jedoch immer mehr einer wilden Achterbahnfahrt.
Vor allem die Ausschläge nach unten haben enorm zugenommen. Die Stunden mit Minuspreisen kletterten im ersten Halbjahr 2025 auf ein neues Rekordniveau. Von Jahresbeginn bis zum 30. Juni verzeichnete die Branche 389 Stunden mit Preisen unter null, wie das Energieunternehmen Enpal mitteilte.
Der Anstieg ist massiv. Der neue Halbjahreswert liegt rund 80 Prozent über dem des Vorjahreszeitraums, in dem es noch 215 Stunden waren. Besonders auffällig: Allein in den Monaten Mai und Juni gab es gleich zwei neue Allzeitrekorde – mit 130 und 141 Stunden im Minusbereich.
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Exponentielle Zunahme von Minuspreisen
Dabei setzt sich der Juni 2025 deutlich von den Vorjahren ab. Die Entwicklung der negativen Stunden in jenem Monat über die vergangenen Jahre zeigt eine exponentielle Zunahme. Gab es 2020 lediglich 8 Negativstunden im Juni, wurden 2023 bereits 30 verzeichnet. Im vergangenen Jahr stieg ihre Anzahl auf 66 an. Mit dem neuen Rekordwert im Juni entspricht dies einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von rund 77,5 Prozent.
Ähnliche Werte stellte der Datenexperte Rolf Schuster von der Bundesinitiative Vernunftkraft der Epoch Times zur Verfügung. Im Gegensatz zu Enpal umfassen seine Informationen neben den Minusstunden auch die Nullstunden. Das Gesamtbild bleibt optisch gleich. Neben dem exponentiell ansteigenden Trend sind in den Daten starke Schwankungen von Jahr zu Jahr zu erkennen.

Anzahl der Stunden mit Null- und Minusstrompreisen jeweils vom Monat Juni der vergangenen Jahre. Foto: mf/Epoch Times
Den absoluten Tiefpunkt im ersten Halbjahr 2025 erreichte der Strompreis am 11. Mai von 13 bis 14 Uhr mit -250,32 Euro pro Megawattstunde (€/MWh). Zu dieser Zeit drückten die Photovoltaikanlagen, von denen etliche nicht durch die Netzbetreiber steuerbar sind, besonders viel Strom in die Netze. Fast zur gleichen Zeit bildete sich auch im letzten Jahr der Tiefpunkt des ersten Halbjahres: Am 12. Mai 2024 fiel der Preis auf -135,45 €/MWh.
Zum Vergleich: Der höchste Preis des ersten Halbjahres entstand von 17 bis 18 Uhr am 20. Januar 2025 mit 583,40 €/MWh. Dieser kam zustande, als Windkraft- und Solaranlagen nur wenig Strom lieferten. Das spiegelt laut Enpal die hohe Volatilität des Marktes durch die „erneuerbaren“ Energien wider.

Jährliche Anzahl der Null- und Minuspreisstunden seit 2010. Foto: mf/Epoch Times; Daten: Rolf Schuster
Die Jahre 2021 und 2022 verliefen gegen den langfristig ansteigenden Trend; hier reduzierten sich die Stunden mit Minuspreisen. Schuster erklärte, dass diese beiden Jahre von Verbrauchsrückgängen wegen Corona, also einem Konjunktureinbruch, geprägt sind. Speziell 2022 sei durch einen durchschnittlichen Börsenpreis von rund 23 Cent pro Kilowattstunde gekennzeichnet gewesen.
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Minuspreise: Zeichen für fehlende Flexibilität
Was sich zunächst nach einer Basis für künftig sinkende Strompreise anhört, hat in Wirklichkeit seine Schattenseiten. Laut Wolfgang Gründinger, Sprecher bei Enpal, entstehen negative Strompreise, „wenn mehr Strom erzeugt als nachgefragt wird“. Aktuell ereignet sich das in Deutschland, wenn die vielen Windkraft- und Solaranlagen intensiv Strom in die Netze einspeisen, während dabei die Last deutlich geringer ist. Weiter erklärte er:
Die Rekordzahl an negativen Preisen ist Ausdruck einer wachsenden Diskrepanz zwischen Erzeugung und Nachfrage sowie eines unzureichend flexiblen und digitalisierten Energiesystems mit intelligenten Speichermöglichkeiten.“
Einfacher ausgedrückt: Die Differenz zwischen Stromerzeugung und -nachfrage wird immer größer. Zudem gibt es noch zu wenig Speicher, um Stromspitzen abzuflachen. Auch digitale Komponenten wie Smart Meter sind noch nicht weit genug verbreitet, sodass die Netzbetreiber bei Bedarf die Netzeinspeisung der vielen Solaranlagen steuern können.
Die Entwicklung im ersten Halbjahr 2025 zeigt laut Enpal somit deutlich: Der Strommarkt steht unter Reformdruck. Auch die folgenden Stromdaten der Woche 26, also vom 23. bis 29. Juni, zeigen, dass vor allem die Stromproduktion durch Photovoltaik die Börsenstrompreise während der Stromspitzen nach unten drückt.

Insbesondere das im Sommer meist hohe Angebot an Solarstrom (linke Achse) drückt den Börsenstrompreis (rechte Achse) Richtung 0 Euro oder in den Minusbereich wie hier in KW 26. Foto: Bildschirmfoto/energy-charts.info/Fraunhofer ISE
Volkswirt: Zwei Gründe für Minuspreise
Der aktuelle Zubau der „erneuerbaren“ Energien erhöht künftig die Anzahl der Minusstrompreisstunden laut Gösta Jamin weiter. Der Volkswirt und Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen erklärte der Epoch Times, wie negative Strompreise überhaupt entstehen. „Normalerweise würde kein Anbieter zu negativen Preisen etwas verkaufen“, so Jamin. Denn der Käufer bekäme dabei Geld dafür, dass er eine Ware „abkauft“.
Aus der Sicht des Volkswirts gibt es zwei Hauptgründe, dass dies am Strommarkt dennoch geschieht. Der erste Grund sind die Millionen kleinen, nicht abschaltbaren Solaranlagen auf privaten Hausdächern oder an Balkonen. „Ihre Betreiber erhalten eine garantierte Einspeisevergütung. Dieser Strom gelangt immer ins Netz, egal wie tief der Strompreis ist“, schilderte Jamin.
Zweiter Grund sei, dass die fossilen Kraftwerke bei ausreichend Wind- und Solarstrom im Netz weiter in gewissem Umfang in Betrieb bleiben. Das sei wichtig, „um die Momentanreserve sicherzustellen, das heißt die Reaktionsmöglichkeit des Stromnetzes auf kurzfristige Frequenzschwankungen. Außerdem können sie nicht wie ein Lichtschalter kurzfristig an- und ausgeschaltet werden.“ Ausreichend Momentanreserve garantiert die Stabilität der Netze.

Prof. Dr. Gösta Jamin betrachtet die Energieversorgung aus volkswirtschaftlicher Sicht. Foto: mf/Epoch Times
„Für Verbraucher mit flexiblen Stromtarifen sind Minuspreise tatsächlich eine gute Nachricht. Die meisten privaten Haushalte haben das momentan nicht, da dafür Smart Meter nötig sind“, sagte Jamin. Bei Industriebetrieben sei es so, dass sie nur begrenzte Möglichkeiten hätten, ihren Stromverbrauch der volatilen Energieerzeugung anzupassen.
„Zudem erhalten die Produzenten des überflüssigen Stroms ja dennoch eine garantierte Einspeisevergütung, die von der gesamten Volkswirtschaft aufgebracht werden muss“, so der Volkswirt. Im vergangenen Jahr hat der Bund rund 18,5 Milliarden Euro an Steuergeldern auf das EEG-Konto überwiesen. Dieser Betrag konnte laut Jamin nicht aus den Verkaufserlösen des Erneuerbaren-Stroms an der Strombörse gedeckt werden.
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Kaum Vorteil zur Senkung von Höchstpreisen
Andererseits erklärte Jamin, dass noch mehr Erneuerbare auch die sehr hohen Strompreise kaum eindämmen könnten. „Sie [mehr Wind und Solar] würden die Zeiten sehr hoher Strompreise allerdings kaum vermindern, da in Zeiten einer Dunkelflaute auch deutlich mehr Wind- und Solaranlagen als heute immer noch keinen Strom erzeugen“, sagte Jamin.
Zudem benötigten die Erneuerbaren „ein komplettes Back-up für eine im schlimmsten Fall mehrwöchige Dunkelflaute“. Im Winter ist der Strombedarf höher als im Sommer und liegt laut Jamin bei bis zu 80 Gigawatt. Das müsse die Reserve bei Bedarf liefern können.
Der Börsenstrompreis bildet sich nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip, wonach laut Jamin „das teuerste Kraftwerk, das gerade noch am Markt ist“, den Preis definiert. „Das sind heute häufig Kohle- und Gaskraftwerke. Kohle ist teuer, weil viel CO₂ ausgestoßen wird und dafür CO₂-Zertifikate eingekauft werden müssen“, erklärte der Hochschulprofessor. „Gas ist teuer, weil der Brennstoff teuer ist – Stichwort LNG-Import.“
Bis vor Kurzem waren die Pläne der Regierung, künftig „grünen“ Wasserstoff als Back-up zu verstromen anstatt Kohle und Gas. „Wie man der aktuellen Diskussion entnehmen kann, ist aber höchst fraglich, ob es in absehbarer Zukunft überhaupt die notwendigen Mengen an bezahlbarem grünem Wasserstoff geben wird, der auch für industrielle Anwendungen – etwa für die Chemie und die Stahlproduktion – benötigt wird“, äußerte Jamin.
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Jamin: Kernkraft würde Preise senken
„Wenn wir Kernkraftwerke im Markt hätten, würde sich die Angebotskurve für Strom nach rechts verschieben, das heißt, es wäre häufiger die günstigere Kernenergie preissetzend am Strommarkt“, betonte der Volkswirt.
Allerdings sei die Kernkraft kein Garant, der Minuspreise an der Strombörse vermeidet. „Auch in Ländern mit Kernenergie gibt es negative Strompreise, siehe Frankreich“, sagte er.
Laut der Energieregulierungsorganisation ERRA hatte Frankreich im vergangenen Jahr 359 Stunden mit Minuspreisen an der Strombörse. Ähnlich wie in Deutschland ist auch hier ein Anstieg über die vergangenen Jahre zu beobachten. „Auch in Frankreich gibt es Wind- und Solaranlagen, wenn auch in einem etwas niedrigeren Anteil als in Deutschland“, teilte Jamin mit. „Zu negativen Strompreisen kann es immer dann kommen, wenn Strom trotz negativer Preise aus technischen Gründen wie Momentanreserve oder nicht abschaltbaren Anlagen oder aus finanziellen Anreizgründen ins Netz eingespeist wird.“
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