Warum in jedem Schlechten immer etwas Gutes steckt

In Kürze:
- Prometheus, ein Titan aus der griechischen Mythologie, bestahl Zeus, um den Menschen zu helfen.
- Sowohl die Menschen als auch Prometheus erhalten eine göttliche Strafe, Letzterer jedoch nicht für den Diebstahl.
- 30.000 Jahre lang riss ein Adler jeden Tag die Leber des Titanen heraus – Tier und Organ waren nicht grundlos gewählt.
- Ein einziger Pfeil erlöste den Titanen von seiner Strafe, nicht um ihn zu töten, sondern zur Rettung der kosmischen Ordnung.
Einer bekannten Redewendung nach folgt die Strafe auf dem Fuße. Dies musste auch Prometheus, ein Titan aus der griechischen Mythologie, wortwörtlich am eigenen Leibe erfahren. Sein Fehler war es, den Göttervater Zeus überlisten zu wollen, um seinen geliebten Menschen einen Vorteil zu verschaffen.
Doch für das Verbrechen, das lebenswichtige Feuer gestohlen und es der Menschheit gebracht zu haben, bestraften die Götter auch die Menschen. In Form der berüchtigten Büchse der Pandora wurden alle Plagen des Lebens entfesselt und den Menschen blieb nur die Hoffnung. Welche Strafe hatten sich die Götter aber für Prometheus ausgedacht?
Prometheus: Weder Held noch Bösewicht
Prometheus ist eine liminale Figur, das heißt, er ist weder Gott noch Mensch. Auch aus moralischer Sicht ist er etwas zwischen Held und Verbrecher. Er war weder gut, obwohl er seiner Schöpfung zu helfen versuchte, noch böse, obwohl er das Verbot von Zeus missachtete.
Zeus selbst steht für Ordnung im Kosmos und Gerechtigkeit. Jene Gerechtigkeit verlangt, dass die Strafe der Tat angemessen ist. Dieses Konzept des sogenannten „Contrapasso“ wurde mit der Büchse der Pandora bereits für die Menschheit angewendet. Daher bedeutete der Versuch, Zeus zu untergraben, den Kosmos zu untergraben.
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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts schaffte es der Prometheus-Mythos in zahlreiche Schriften. Während die einen – beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe – in ihm ein einsames Genie sahen, das sich der Tyrannei widersetzt, war er für andere – etwa Mary Shelley – ein fehlgeleiteter Mann.
In ihrem Roman „Frankenstein – der moderne Prometheus“ erscheint der Forscher Victor Frankenstein wie Prometheus als tragische Figur, dessen Streben nach verbotenem Wissen Kräfte entfesselt, die er nicht kontrollieren kann. Ihre Geschichte warnt vor den Gefahren einer Freiheit ohne moralische Verantwortung.
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Der Prometheus-Mythos ist zudem ein Spiegel unserer Zeit und zeigt ein noch heute bestehendes Paradoxon: unser Verlangen nach Freiheit und die Schaffung einer eigenen Utopie im Widerspruch zu unserem gleichzeitigen Bedürfnis nach Ordnung und Gerechtigkeit. Der Titan wird zum Archetyp eines Rebellen und Befreiers. Doch letztlich wird er nicht dafür bestraft, dass er die Götter bestohlen hat, sondern weil er den Menschen die Macht über das Feuer gab.
Das Los der Unsterblichkeit
Zeus ließ Prometheus an einen Felsen im Kaukasus ketten, wo jeden Tag – 30.000 Jahre lang – ein Adler seine Leber fraß. Als unsterbliches Wesen regenerierte sich seine Leber jede Nacht und er erlitt täglich dieselben Qualen.
Das Kaukasusgebirge, ein nach antiker griechischer Vorstellung wildes und abgelegenes Grenzgebiet, war der ideale Platz zur Vollstreckung von Prometheus’ Strafe, denn er wurde buchstäblich an den äußersten Rand der sozialen Existenz verbannt. Der Ort symbolisiert damit nicht nur seine persönliche Qual, sondern auch den hohen Preis, den er für seinen Widerstand gegen die kosmische Ordnung zahlen musste.
Es war ein Adler, Zeus’ heiliger Vogel, der Prometheus seine Leber entriss. Adler sind ein Symbol für Königtum, Macht und Herrschaft – ein Spiegelbild von Zeus. Die tägliche Strafe war also nicht zufällig, sondern ein sichtbares Zeichen dafür, dass Zeus die Strafe selbst überwachte und vollstreckte. Da Adler gleichzeitig die größten Raubtiere des Himmels sind und jeden Ort erreichen können, spiegeln sie die Reichweite der Macht des Göttervaters wider.

Das antike griechische Gefäß zeigt den Gott Zeus (l.), der häufig auch als Adler (r.) symbolisch dargestellt wird. Foto: Gemeinfrei
Warum büßte Prometheus ausgerechnet die Leber ein?
Ein Blick in die griechische Medizin zeigt, dass der Angriff auf die Leber – anstatt etwa auf das Herz – bezeichnend ist. So galt die Leber in der Antike als eines der wichtigsten Organe, die mit Lebenskraft und Erneuerung verbunden waren – ähnlich wie das Herz in der späteren christlichen Symbolik. Die tägliche Verwundung und Heilung unterstrich gleichzeitig die unausweichliche, sich selbst erneuernde Natur der kosmischen Strafe.
In vielen alten Kulturen, darunter der mesopotamischen und der griechischen, galt die Leber zudem als göttliches oder prophetisches Organ. Das Deuten von Omen in den Lebern geopferter Tiere war eine wichtige Praxis. Indem Zeus die Leber auswählte, griff er auch die Quelle von Prometheus’ Weitsicht und List an.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Zeus riss in Gestalt des Adlers Tag für Tag an Prometheus’ Leber – einem Symbol für Leben und Voraussicht. Es war eine ewig wiederkehrende Strafe, eine lebendige Erinnerung daran, dass nichts dem wachsamen Auge der Götter entgeht. Doch war sie wirklich ewig – nein, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

„Der gefesselte Prometheus“, gemalt von Jacob Jordaens (1593–1678). Foto: Gemeinfrei
Jeder hat eine Aufgabe im Kosmos
Zeus’ kosmische Ordnung war nicht perfekt, und so tauchten irgendwann zwei Bedrohungen auf, die den Kosmos destabilisieren und zerstören konnten. Beide Bedrohungen soll Prometheus vorhergesehen haben.
Zum einen drohten Riesen, die Herrschaft der griechischen Götter zu beenden, wie die Griechen einst die Titanen gestürzt hatten. Verhindert werden konnte dies nur, wenn ein Sterblicher geboren werden würde, der ihnen im Krieg gegen die Riesen zur Seite stünde. Dieser Sterbliche war Herakles, Sohn von Zeus und der Menschenfrau Alkmene. Als Halbgott war auch Herakles ein liminales Wesen und der Einzige, der den Kosmos retten konnte. Ähnlich wie Jesus Christus war Herakles ein Erlöser und Vermittler des Göttlichen.
Die zweite Bedrohung betraf eine geheime Prophezeiung, von der nur Prometheus wusste. Laut jener Weissagung würde ein mögliches Kind von Zeus und der Meeresgöttin Thetis eine so große Macht besitzen, dass es die Ordnung des Kosmos zerstören könnte. Um den Inhalt der Prophezeiung zu erfahren, schickte Zeus Herakles zu Prometheus, wo beide um die Information feilschten.

Herakles (l.), dargestellt mit Keule und Löwenfell, stiehlt Rinder des Riesen Geryon zur Erfüllung seiner zehnten Aufgabe. Foto: Gemeinfrei
Der hart erkämpfte Handel endet mit der Befreiung von Prometheus durch Herakles. Ein liminales Wesen rettete das andere, indem Herakles den Adler mit einem Pfeil abschoss und Prometheus’ Ketten zerschlug. Die Ewigkeit (der Adler) wurde also mit einer einzigen, entschiedenen Handlung (dem Pfeil) beendet. So wie die eine entscheidende Handlung Christi (am Kreuz) die Menschheit von der ewigen Verdammnis bewahrte.
Wie sich herausstellte, benötigte der Kosmos Prometheus – und die von Prometheus geschaffenen Menschen. Tatsächlich war der Kosmos von ihnen und von Herakles, der die Ausbreitung des Chaos und des Bösen verhinderte, abhängig.

Herakles (l.) befreit Prometheus (r.) von seiner göttlichen Strafe, indem er die Ketten sprengt und den Adler mit einem Pfeil tötet (u.). Foto: Gemeinfrei
Im Bösen steckt das Gute verborgen
Welche Lehre können wir letztlich aus dem Prometheus-Mythos für uns heute ziehen? War Prometheus nun gut oder böse? Die griechische Geschichte ist ohne Frage ein tiefgründiges Paradox. Für viele Schriftsteller des 19. Jahrhunderts war Prometheus ein Befreier, ja sogar ein Archetyp der Zeit der Aufklärung.
Aus christlicher Sicht erklärte der Heilige Augustinus, dass Sünde zwar böse ist, Gott jedoch in seiner Voraussicht wusste, dass sich Sünde letztlich zum Guten wenden würde. Augustinus nannte dies „den glücklichen Sündenfall“. Die Verwandlung zum Guten wird durch Christus vollbracht, der wie Prometheus leiden musste.
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Im griechischen Mythos musste Prometheus vor seiner Erlösung leiden. Dies ist auch die Erlösung des menschlichen Geistes, denn das ist es, was die Voraussicht bietet. Unser Denken ist das Kreuz der Menschheit, und durch es gibt es Leid, aber auch Hoffnung.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Prometheus, Part 3: His Punishment and Redemption“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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