„Die Schöne und das Biest“ gibt es nicht nur im Märchen

Alle Märchen haben eine Moral, manche auch einen wahren Hintergrund. „Die Schöne und das Biest“ hat beides. Auch im echten Leben lebte das „Biest“ am königlichen Hof, heiratete eine Frau von besonderer Schönheit und überzeugte seine Mitmenschen letztlich mit seinem guten Umgang und hoher Bildung.
Die Schöne und das Biest: Pedro Gonsalvus und seine Frau Catherine (um 1575
Pedro Gonsalvus und seine Frau Catherine (um 1575), gemalt von Georg Hoefnagel.Foto: Gemeinfrei
Von 17. August 2025

In Kürze:

  • „Die Schöne und das Biest“ gibt es nicht nur im Märchen.
  • Ein Mann namens Pedro Gonsalvus, behaart von den Augenbrauen bis zu den Schenkeln, lebte im 16. Jahrhundert am französischen Königshof.
  • Trotz seines ungewöhnlichen Aussehens heiratete er Catherine Raffelin und bekam mit ihr sieben Kinder – vier erbten sein haariges Erscheinungsbild.

 

In Disneys Version von „Die Schöne und das Biest“ kommt die schöne und intelligente Belle in ein Schloss, in dem ein Mann lebt, der dazu verflucht ist, wie ein Tier auszusehen. Trotz seines wilden und groben Aussehens hat das „Biest“ ein Herz aus Gold und liebt Belle sehr – Eigenschaften, die sie schließlich dazu bringen, sich in ihn zu verlieben. Die Geschichte endet wie im Märchen: Ihre Liebe bricht den Fluch, das Biest wird wieder zum Prinzen und sie leben glücklich im Schloss.

In Wirklichkeit hat die Geschichte kein märchenhaftes Ende. Auch gab es keinen Fluch, den es zu brechen galt. Dennoch heiratete die Schöne das „Biest“, das für immer mit seinem Äußeren leben musste.

Ein „Biest“ am Königshof

Die Geschichte beginnt am 18. April 1547, als ein neunjähriger Junge mit seltsamem Aussehen an den Hof des französischen Königs Heinrich II. (1519–1559) kam. Sein ganzes Gesicht und sein ganzer Körper waren mit Haaren bedeckt, die dem Fell eines Tieres ähnelten. Der Junge litt an einer Krankheit, die zu dieser Zeit unbekannt war und heute als Hypertrichose oder Ambras-Syndrom bekannt ist.

Am Königshof erhielt der Junge, der eigentlich Pedro Gonsalvus hieß, den Spitznamen „Wilder“ oder „Werwolf“, welcher ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollte. Dies geht aus Tagebüchern und Urkunden hervor, die in den Archiven Frankreichs verwahrt liegen.

Das „Biest“: Pedro Gonsalvus

Das Gemälde, um 1580 entstanden, zeigt Pedro Gonsalvus. Foto: Gemeinfrei

Das Erscheinen von Pedro Gonsalvus am Hofe Heinrichs II. ist in einem Brief dokumentiert, den der italienische Botschafter in Frankreich, Giglio Alvarotto, an den Herzog von Italien sandte. Darin heißt es:

„Der König hat ein sehr hübsches Kind geschenkt bekommen, dessen Gesicht und Körper jedoch sehr behaart sind. So wie man sagt, sehen wilde Menschen aus. Seine Haare sind fünf Finger lang. Sie sind so dünn, dass man alle seine Gesichtszüge durch sie hindurch sehen kann. Sie sind hellbraun und duften angenehm. Er spricht Spanisch und kleidet sich wie alle anderen. Ich weiß nicht, wer ihn Seiner Majestät geschenkt hat.“

Von den eigenen Eltern verkauft

Der italienische Forscher Alberto Quartapelle von der Universität Bologna analysierte diese Dokumente und kam zu dem Schluss, dass Pedro verkauft wurde. Das Unvorstellbare: Es waren seine spanischen Eltern, die ihn auf Teneriffa während einer Schau ausstellten und schließlich an den König von Frankreich verkauften.

Ein solcher Handel war zu jener Zeit nicht selten, erklärt Quartapelle. Könige und Adlige sammelten allerlei Menschen zu ihrem Vergnügen an ihrem Hof, die anders waren: sehr kleine und extrem große Personen, von Krankheiten entstellte oder geistig verwirrte und verrückte Menschen.

Pedro Gonsalvus hatte jedoch Glück und sein Schicksal war nicht die Unterhaltung der Oberschicht. Etwa ein Jahr nach seiner Ankunft am Hof bekam er vom König einen Lehrer, der ihn unterrichtete. Außerdem fand der König für Pedro eine Familie, die ihn adoptierte: die Familie von Pierre Hotman, einem angesehenen und gebildeten Geldwechsler des Königreichs.

Der König von Frankreich, Heinrich II., unterstützte Pedro Gonsalvus finanziell und förderte seine Bildung. Foto: Gemeinfrei

„Die Schöne und das Biest“

Als Pedro Gonsalvus etwa 20 Jahre alt war, nahm er die Einladung des Königs an und arbeitete am Hof als Tischdiener, um die Umgangsformen des Adels zu lernen. Nach dem Tod des Königs im Jahr 1559 erhielt Gonsalvus gemäß dem Testament des Regenten weiterhin finanzielle Unterstützung vom Königshof. Dies veranlasste Pedro jedoch nicht dazu, untätig zu bleiben. Im Gegenteil: Er nutzte das Geld, um Jura zu studieren.

Die Geschichte des haarigen Mannes, den seine Mitmenschen mit einem Tier verglichen, sollte eine interessante Wendung nehmen, als er eine schöne Frau namens Catherine Raffelin, die Tochter eines Textilhändlers, kennenlernte.

Während im Disneyklassiker die Frau das Biest zunächst ablehnte, heiratete Catherine Raffelin den stark behaarten Pedro Gonsalvus. Laut einer bislang unbestätigten Version der Geschichte soll Raffelin vor der Hochzeit nicht gewusst haben, wie ihr zukünftiger Ehemann aussah. Dennoch lebten die beiden zusammen und bekamen im Laufe der Jahre sieben Kinder. Vier von ihnen erbten das Aussehen ihres Vaters.

Kometenhafter Aufstieg

Auch beruflich schien es für Pedro Gonsalvus positiv zu verlaufen. Nach seinem Jurastudium wurde er Mitglied eines Ausschusses, dessen Aufgabe es war, das Vermögen der Kirchengemeinde zu überwachen. Gleichzeitig erhielt er weiterhin Unterstützung vom Königshaus.

Der neue 20-jährige König, Karl IX., lud ihn ein, eine wichtige Position am Königshof zu übernehmen, bei der er dem König Bücher vorlas. So vermittelte er nicht nur Allgemeinbildung und Wissen, sondern kam auch in den Genuss, häufig in der Gesellschaft des Königs zu verweilen.

Im Jahr 1582 erreichte Pedro Gonsalvus den Höhepunkt seiner Karriere, als er in Paris den Doktortitel in Rechtswissenschaften erhielt und als Rechtsprofessor an der Universität Sorbonne arbeitete.

Zwei Töchter von Pedro Gonsalvus, die sein seltenes Syndrom geerbt haben. Gemalt von Georg Hoefnagel um 1580. Foto: Gemeinfrei

Neugierige Blicke in Italien

Vielleicht war es der kometenhafte Aufstieg oder ein anderer unbekannter Grund, der plötzlich zur Wende führte. Laut Alberto Quartapelle war die Familie 1585 gezwungen, Frankreich zu verlassen und nach Italien zu ziehen. Dort erhielt sie erneut adlige Unterstützung durch den Herzog von Parma.

Während ihrer Zeit in Italien erregte die Familie Gonsalvus großes Aufsehen bei Ärzten, Wissenschaftlern und Künstlern. Sie wollten die seltsame Erscheinung untersuchen und in Büchern und Bildern verewigen. Einer dieser Künstler war der flämische Maler Georg Hoefnagel, der am Hof von Wilhelm V. von Bayern wirkte und die Familie malte.

In Italien traf Ulisse Aldrovandi, ein Arzt und Biologe, Tognina – eine der Töchter von Pedro Gonsalvus – und beschrieb sie wie folgt:

„Das ganze Gesicht des Mädchens war mit Haaren bedeckt, bis auf die Nasenlöcher und die Lippen. Die Haare auf der Stirn waren länger und rauer, obwohl sie weicher waren als die Haare am Körper, der vom Kopf bis zu den Schenkeln mit Haaren bedeckt war.“

Tochter des Biest: Tognina Gonsalvus

Porträt von Tognina Gonsalvus, gemalt um 1595. Foto: Gemeinfrei

Was dachte „das Biest“ über sich?

Bis zu seinem Tod um 1618 blieb Pedro Gonsalvus mit seiner Familie in Italien. Während seines Lebens sahen ihn einige Mitmenschen als gut erzogenen, gebildeten Mann, der sich in die Gemeinschaft integrierte und einen Beitrag leistete. In den Augen anderer war er hingegen ein mysteriöses Mischwesen.

Doch wie sah sich Pedro selbst und was dachte er über sein Leben? Glücklicherweise gibt es einen kurzen Abschnitt in seiner Handschrift, der sein Leben zusammenfasst und in dem steht:

„Teneriffa hat mich geboren, und das erstaunliche Werk der Natur hat meinen ganzen Körper mit Haaren bedeckt. Frankreich, meine zweite Mutter, hat mich von Kindheit an bis zum Erwachsenenalter erzogen, mich gelehrt, mein wildes Verhalten aufzugeben, mir ermöglicht, Geisteswissenschaften zu studieren und Latein zu sprechen. Durch Gottes Gnade hatte ich das Glück, eine Frau von besonderer Schönheit zu heiraten und Kinder zu zeugen – die kostbaren Früchte unserer ehelichen Vereinigung. Die Großzügigkeit der Natur zeigt sich darin, dass einige der Kinder die Schönheit ihrer Mutter erhielten, während andere, die mit Haaren bedeckt sind, ihrem Vater ähneln.“

Letztlich kennen Liebe und Güte keine Grenzen. Sowohl der Disneyklassiker „Die Schöne und das Biest“ als auch die wahre Geschichte von Pedro Gonsalvus und seiner Catherine lehren uns, Menschen nicht nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Vielmehr sollten wir uns die Zeit nehmen, um ihre unvergängliche innere Schönheit zu entdecken und lieben zu lernen.

Dieser Artikel erschien im Original auf www.epoch.org.il unter dem Titel „היסטוריה מוזרה“. (redaktionelle Bearbeitung kms)



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