Technikhistorikerin: Fahrplan zurück zur Kernkraft in Deutschland

In Kürze:
- Die Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland sieht in Deutschlands Wiedereinstieg in die Kernkraft viele Vorteile.
- Die Kernkraft würde die Kriterien Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit gleichermaßen erfüllen.
- Wendland legt dar, welche Schritte nötig sind, um die Kernkraft hierzulande wieder zuzulassen.
- Die industrielle Zukunft des deutschen Wirtschaftsstandortes steht auf dem Spiel. Der aktuelle Kurs sei nicht die Lösung.
Frankreich hat sie und will noch mehr, Polen will sein erstes bauen, die Schweiz will nun doch nicht mehr ganz darauf verzichten. Deutschland ist umgeben von Ländern, die die Kernkraft befürworten.
Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz hält jedoch weiterhin am Atomausstieg fest. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) setzt lieber auf den Zubau von neuen Gaskraftwerken. Sie sollen als künftige Reserve für Windkraft und Solarenergie fungieren.
Saubere und günstige Versorgungssicherheit?
Diese neue Strategie trifft auf Widerspruch, besonders bei Grünen-Politikern. Gaskraftwerke könnten mit ihren vergleichsweise hohen CO₂-Emissionen eine kontraproduktive Wirkung beim Erreichen der Klimaziele und der Dekarbonisierung haben.
Also doch lieber zurück zur CO₂-armen Kernkraft? Diese Strategie befürwortet die Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland. Sie weist darauf hin, dass eine gute Klima- und Energiestrategie drei Ziele erreichen muss: „Die Emissionen sollten reduziert, die Versorgungs- und Systemsicherheit maximiert und die Kosten minimiert werden.“ Diesbezüglich hat bereits der Bundesrechnungshof im vergangenen Jahr die Regierung zur Kurskorrektur aufgefordert.

Dr. Anna Veronika Wendland fordert die Rückkehr zur Kernkraft. Foto: mf/Epoch Times
„Was Deutschland fehlt, ist eine gesicherte, planbare, günstige und CO₂-arme Stromerzeugung“, kritisierte Wendland. „Genau diese für Klimaschutz in einer Industriegesellschaft so zentrale Komponente haben wir mit dem Atomausstieg verloren.“
Die Kernkraft produziere laut der Technikhistorikerin vergleichbar günstigen Strom. „Die Stromgestehungskosten von Kernkraftwerken deutscher Bauart lagen 2022 um 4 Cent pro Kilowattstunde“, so Wendland. Das liege auf der Höhe der günstigsten Erzeugungskosten der „erneuerbaren“ Energien.
Zudem wies Wendland darauf hin, dass gerade die letzten deutschen Kernkraftwerke sehr zuverlässige Anlagen gewesen seien. An rund 90 Prozent der Stunden im Jahr hätten sie Energie geliefert. Zum Vergleich: Die Windkraft schaffe dies nur zu 24 Prozent bei Wind an Land bis hin zu 44 Prozent bei Wind auf See, die Photovoltaik gar nur zu 11 Prozent. Da Windkraft und Photovoltaik wetter- und tageszeitabhängig sind, liefern sie ihren Strom mit häufigen Ausfallzeiten. Sie sind nicht grundlastfähig.
[etd-related posts=“5019245,5008419″]
Schmutzige oder ausländische Reserve
Das führt dazu, dass für die „erneuerbaren“ Energien regelmäßig eine Reserve einspringen muss. In Deutschland besteht diese momentan aus Kohle- und Gaskraftwerken. „Der CO₂-Ausstoß unserer Stromerzeugung war 2024 daher etwa zehnmal höher als der des Atomlands Frankreich“, merkte Wendland an.

Der CO₂-Ausstoß von Deutschland und Frankreich des Jahres 2024 im Vergleich. Foto: Bildschirmfotos Electricity Maps, Collage Epoch Times
Ein Teil der deutschen Reserve befindet sich allerdings im Ausland. „Deutschland ist Nettoimporteur von Strom, weil ausländischer Strom aus Wasserkraft und Kernenergie häufig günstiger ist als der eigene, CO₂-Abgaben-belastete Strommix“, erklärte Wendland.
Der Grund für die Stromimporte aus dem Ausland ist jedoch nicht nur auf finanzielle Vorteile zurückzuführen. Sie sind auch eine Frage der Versorgungssicherheit. „Deutschland ist inzwischen auf ausländische Reservekraftwerke angewiesen, um Engpässe im Stromnetz zu beheben“, schilderte die Expertin. „Die deutsche Energiewende sichert sich über andere Länder ab, die diese Funktion aber nur deswegen ausfüllen können, weil sie die Energiewende von Deutschland nicht nachmachen.“
[etd-related posts=“5076431,5195193″]
Rückkehr zur Kernkraft möglich?
Wendland hält es für realistisch, die Vorteile der Kernkraft in Deutschland wieder zu etablieren. Dazu hat sie sich eine mögliche Vorgehensweise in mehreren Schritten überlegt. „Schritt 1 wäre auf jeden Fall ein Rückbaumoratorium für die Bestandsanlagen. Fünf bis neun Blöcke wären noch für eine Rückholung und Anlagenmodernisierung nutzbar – wenn man jetzt den Rückbau stoppt. Fachleute schätzen, dass einige dieser Anlagen in circa drei Jahren wieder am Netz sein könnten.“
Die Politik müsse den Betreibern allerdings zusichern, dass die Kraftwerke eine unbegrenzte Betriebsgenehmigung erhalten. Die Anlagen müssten hierfür lediglich ihren Sicherheitsnachweis erbringen.
Nötig wäre dazu ebenso eine Änderung des Paragrafen 7 im Atomgesetz. „Da steht derzeit ein faktisches Atomverbot drin, das heißt Genehmigung für ortsfeste Anlagen, die mit Kernspaltung kommerziell Strom erzeugen, werden nicht mehr erteilt. Das müsste fallen“, so Wendland. „Ist das Atomgesetz geändert, können wieder Kernkraftwerke in Deutschland geplant und gebaut werden.“ Denkbar wären große Leistungsreaktoren, aber auch die kleinen „Small Modular Reactors“, also kleine Reaktoren bis 300 Megawatt.
[etd-related posts=“5076609,4994502“]
Atommüll ist zu berücksichtigen
Zur Kernkraft gehört allerdings auch der dabei anfallende Atommüll. Wendland führte aus, dass Deutschland bei einem Wiedereinstieg die Zwischenlager- und Endlagerplanung anpassen müsse.
„Derzeit handelt es sich um 27.000 Kubikmeter hochaktiven Atomabfall in Form von Brennelementen und verglasten Restabfällen der Wiederaufbereitung, die rund 60 Jahre Kernenergienutzung in Deutschland repräsentieren“, sagte sie. „Volumenmäßig ist das nicht sehr viel. Es würde in ein paar Einfamilienhäuser passen. Aber wenn man in die Kernenergie einsteigen will, dann kämen natürlich auch neue Mengen abgebrannter Brennelemente hinzu.“
[etd-related posts=“5181307,4209575″]
Ziel Klimaneutralität – mit oder ohne unsere Industrie?
Ein weiterer Konflikt ist laut Wendland in der gesellschaftlichen Meinungsverschiedenheit zum Thema zu lösen. „Die Befürworter der Kernenergie in der Politik und den Unternehmen – es gibt mehr, als Sie denken – müssten ihre Konfliktscheu ablegen und den Deutschen jetzt wirklich klarmachen, dass sie an einem Scheideweg stehen. Entweder wir erreichen die Klimaneutralität zusammen mit unserer Industrie oder ohne sie.“
Für die Technikhistorikerin ist klar, dass die Industrie aus Deutschland abwandere, wenn der aktuelle Kurs weiterläuft. Angesichts zahlreicher Insolvenzen sprechen bereits manche Fachleute wie der Finanzexperte Rolf B. Pieper von einer „schleichenden Deindustrialisierung“.
Die „Erneuerbaren“ in Deutschland benötigen eine Reserve, die deren möglichen Totalausfall – beispielsweise bei Dunkelflaute – ausgleichen kann. Das könnte Kohle und Gas sein. Laut Wendland wäre das jedoch „das Ende unserer Klimaschutz-Ambitionen“ und werde durch CO₂-Bepreisung stetig teurer.
[etd-related posts=“5172789,5030737″]
Stattdessen sei „das günstigste und klimafreundlichste Verfahren ein Mischsystem aus ‚Erneuerbaren‘ und Kernkraftwerken“. Wendland wolle die „Erneuerbaren“ auf ihrem jetzigen Anteil von bis zu 60 Prozent der Stromerzeugung halten. Da der Strombedarf langfristig steigen dürfte, könne entsprechend auch hier ein weiterer Ausbau stattfinden. Dabei forderte sie:
Nur müssen wir von dem illusorischen Ziel 100 Prozent ‚Erneuerbare‘ weg und uns jetzt auf ein Atomprogramm konzentrieren. Wir müssen weg von diesem selbstmörderischen Kulturkampf Atom gegen ‚Erneuerbare‘.“
Das Kriterium für den Einsatz einer Kraftwerksart solle einzig ihr Zweck für unsere Stromversorgung sein, keine parteipolitische Vorliebe oder Abneigung. „Ich sehe darin ein Riesenpotenzial zur Aussöhnung in unserer Gesellschaft, zur Etablierung des Klimaschutzes in der gesamten Gesellschaft statt nur in Teilen – und zur Kooperation mit unseren europäischen Nachbarn, denen der deutsche Sonderweg auch nicht behagt“, sagte Wendland.
Hat das Atom-Aus der Wirtschaft geschadet?
Aus Sicht der Technikhistorikerin hätte die deutsche Industrie mit Kernkraftwerken heute bessere Bedingungen als in der momentanen Situation. Eine wichtige Rolle spielten hier die Metall-, die Chemie- und die Maschinenbauindustrie.
„Die ersten beiden Branchen brauchen viel Energie und müssen Klimaschutzziele erreichen. Ein bedeutender Standortfaktor sind die Energie-, insbesondere die Stromkosten“, erklärte Wendland. „Die Industrie wird mittelfristig an Standorte gehen, wo die Kosten für klimafreundlichen Strom besonders niedrig sind, und das ist in Deutschland trotz Energiewende eben nicht der Fall.“
[etd-related posts=“5032312,5158604″]
Die Stromgestehungskosten der „Erneuerbaren“ sind vergleichsweise günstig. Was die Energiewende – und die Strompreise – teuer macht, sind unter anderem der Netzausbau und das Backup aktuell durch fossile Kraftwerke, die durch den steigenden CO₂-Preis zunehmend teurer werden. Weitere Kosten verursachen Redispatch-Maßnahmen, also Eingriffe der Netzbetreiber zur Stabilisierung der Netze.
Laut Wendland müsse irgendjemand diese Kosten tragen. „Und das sind die Stromkunden, denen diese Systemkosten der Erneuerbaren auf die Rechnung gesetzt werden. Die Bundesregierung macht gerade Versuche, die Betreiber von ‚Erneuerbare‘-Energie-Anlagen an diesen Kosten zu beteiligen – aber das trifft natürlich auf Widerstand.“
Wendland geht davon aus, dass Atomstrom-Industrieverträge die Lage zwar nicht gerettet, aber entspannt hätten. Die letzten sechs deutschen Kernkraftwerksblöcke hätten jährlich rund 66 Terawattstunden geliefert. „Das war fast die Hälfte der deutschen Windstromproduktion und hatte dieselbe CO₂-Bilanz wie diese – aber in Form gesicherter Leistung, die die Industrie dringend benötigt“, teilte Wendland mit. „Zudem wäre das sehr günstiger Strom gewesen. Man hätte aus den KKW Industriestrom für 6 Cent pro Kilowattstunde bekommen können.“
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion