Kunst als Trojanisches Pferd: Wenn Politik und Technik beeinflussen, was wir mögen

Seit Jahrhunderten wird Kunst und Schönheit zu Propagandazwecken oder zur Erschaffung einer Wunschgesellschaft verwendet. Mehrere Studien zeigen ein altes, teils trügerisches Schema auf, eines, das noch heute erfolgreich angewendet wird.
Kunst als Trojanisches Pferd: Wenn Politik und Technik beeinflusst, was wir mögen
Schönheit bedeutet in der Renaissance vor allem innere Schönheit, was mit dem Wahren und Guten verbunden war.Foto: Gemeinfrei
Von 30. September 2025

In Kürze:

  • Schönheit liegt im Auge des Betrachters und war aus historischer Sicht betrachtet noch nie neutral, auch nicht in der Kunst.
  • Während das Schöne in der Renaissance mit dem Wahren verbunden war, scheint moderne Technologie wie KI den Eifer nach Perfektion zu verstärken.
  • Immer wieder liefert die Kunst Gegenentwürfe der Schönheitsnormen, wie antike Statuen oder der renaissancezeitliche Maler Donatello zeigen.

 

Es geht um Schönheit und um Politik. Es geht um das Abbild einer schönen Frau und um Macht: Das Porträt der Eleonora von Toledo mit ihrem Sohn Giovanni, gemalt von Agnolo Bronzino um 1545, zeigt die Gattin von Cosimo I. de’ Medici, des Herzogs von Florenz, mit perfektem Teint, in prunkvoller Kleidung und prächtigem Schmuck.

Bronzino kannte die Schönheitsideale seiner Zeit. Zu diesen, festgelegt von dem Dichter Agnolo Firenzuola, gehörten eine weiße Stirn, rote Lippen, rosige Ohren und strahlende Wangen. In dieser Hinsicht verkörpert Eleonora von Toledo also weibliche Schönheit. Doch damit nicht genug.

Schöne Kunst: Gemälde der Eleonora von Toledo

Eleonora von Toledo und ihr Sohn Giovanni, gemalt von Agnolo Bronzino im Jahr 1545. Foto: Gemeinfrei

Schönheit mit Einfluss

Firenzuola bezog sich mit seiner Schönheitslehre unter anderem auf Marsilio Ficino (1433–1499), einen italienischen Philosophen des 15. Jahrhunderts, der in Schönheit etwas Göttliches sah. Für ihn spiegelten sich die innere Schönheit und Tugend eines Menschen im äußeren Erscheinungsbild wider.

Die Herzogin ist also für ihre Zeitgenossen nicht nur eine attraktive Frau, sondern verkörpert mit ihrem Aussehen für alle sichtbar auch das Wahre und Gute. Den Arm um ihren kleinen Sohn gelegt, repräsentiert sie zudem den Erhalt der Dynastie, also der Macht.

„In Bronzinos Porträt wird die ästhetische Kategorie der Schönheit zu einer moralischen“, sagt Hana Gründler vom Kunsthistorischen Institut in Florenz. „Und damit ist sie letztlich auch politisch.“

Gründler erforscht mit ihrem Team das Verhältnis von Kunst, Visualität und Ethik – von der Renaissance bis in die Moderne, von klassischen Gemälden bis zu KI-generierten Inhalten und ihren daraus resultierenden ethischen Problemen.

„Auch wenn Schönheit erst mal eine subjektive Empfindung sein mag, ist sie doch stets historisch und kulturell bedingt“, so Gründler. Für die Wissenschaftlerin spielt Kunst daher auch eine maßgebliche Rolle bei der ethischen und politischen Bildung von Gesellschaften.

Berühmte Kunst: Die Mona Lisa von Leonardo da Vinci

Für viele Menschen gilt die von da Vinci gemalte Mona Lisa als Schönheit. Foto: Horacio Villalobos/EPA/dpa

Die Verbindung zum Guten und Wahren

Wie Schönheit und Tugend in der Renaissance zusammenhingen, zeigt das Werk „De Amore“ von Ficino. Seine Liebestheorie besagt, dass die Schönheit am stärksten ausstrahlt. „Davon werden wir angezogen, deswegen verlieben wir uns“, erklärt Gründler. Und weiter:

„Zugleich gibt es eine Gleichsetzung des Schönen mit dem Guten und Wahren, was normative Implikationen besitzt: Diejenigen, die nicht diesen Idealen entsprechen, werden moralisch und intellektuell abgewertet.“

Als Beispiel nennt die Bildwissenschaftlerin einen Text des Kunsttheoretikers Leon Battista Alberti (1404–1472), in dem er über die ethische Dimension des Ästhetischen schreibt. Darin machen sich drei Freunde zu einem Spaziergang durch Florenz auf. Die Harmonie des gerade fertiggestellten Doms und das wohlgeordnete Stadtbild inmitten der toskanischen Landschaft erfreuen Augen und Herz der Freunde.

Der Dom von Florenz. Foto: ChiccoDodiFC/iStock

„Man kann Alberti so lesen, dass sich die Schönheit und Wohlstrukturiertheit des Stadtraumes auch auf den Einzelnen und die Gesellschaft auswirken – Ästhetik und Ethik bedingen sich hier wechselseitig und bestimmen das Politische mit“, so Gründler.

Die Säulenordnung im Dom etwa wird zum Sinnbild der Gemeinschaft. Wie die Säule das Gebälk stützt, trägt der Einzelne durch seine „aufrechte“ Haltung die Gesellschaft. Die Bettler und Armen in den Straßen und Kirchen werden von Alberti bewusst als negatives Gegenbeispiel zur Schönheit eingesetzt.

Zu schön, um real zu sein

Doch auch zu Albertis Zeiten gab es künstlerische Gegenentwürfe zu der stark idealisierten Schönheit, die Skulptur Maria Magdalenas des Bildhauers Donatello etwa. Er zeigt die schöne Maria Magdalena hier als abgemagerte Büßerin mit eingefallenem Gesicht, zahnlos, asketisch, mit einem einzigartigen, intensiven Blick.

„Der Anblick solch ausgemergelter Körper war den Zeitgenossen Albertis und Donatellos wahrscheinlich nicht fremd. Doch die Holzstatue bricht aufgrund ihrer extremen Darstellung mit den Konventionen“, so Gründler.

Schönheit in der Kunst: Donatellos Statue der Maria Magdalena

Donatellos Statue der Maria Magdalena aus Holz und Stuck im Museo dell’Opera del Duomo, Florenz. Foto: Luca Aless, Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0

Ein ungeschöntes, zu realistisches Kunstwerk wurde als nicht angemessen betrachtet. „Zugleich aber führt sie dem Betrachter die theologische Komplexität der Heiligen – als tragende Säule des christlichen Glaubens und als Figur zwischen Sünde und Gnade – vor Augen“, sagt Katharine Stahlbuhk, wissenschaftliche Mitarbeiterin in Gründlers Team.

„Der Maler und Kunsttheoretiker Giorgio Vasari, der im 16. Jahrhundert für seine Künstlerviten bekannt wurde, beschrieb die Plastik von Donatello bezeichnenderweise als ,molto bella‘, sehr schön, und zwar gerade aufgrund der vortrefflichen Darstellung ihrer Enthaltsamkeit und ihres Fastens.“

Die Abkehr von göttlicher Schönheit hin zur Abbildung der Realität ist auch in der antiken griechischen Kunst fassbar. Während Statuen um 500 bis 300 v. Chr. häufig perfekte, gottähnliche Personen darstellen, wurde ab 300 v. Chr. bis zum Jahr Null vermehrt auch Ungeschöntes aus dem Alltag gezeigt.

Wandel in der griechischen Kunst

In der Klassik dominierten Statuen von gottähnlich dargestellten Personen (l.), während später vermehrt Personen des Alltags (r.) abgebildet wurden. Foto: shakko, Wikimedia Commons | CC BY 3.0; gemeinfrei

Schönheit als Instrument

Was also ist Schönheit? Ist es die Harmonie, die Ausgewogenheit und Symmetrie, auf die sich schon der antike Philosoph Platon bezieht und dessen Theorien des Schönen und der Liebe die Philosophen und Kunsttheoretiker der Renaissance wie Ficino und Alberti beeinflussten?

Oder ist es der Realismus des Bildhauers Donatello, der die Betrachter die reine Seele der Maria Magdalena nachvollziehen lässt? Wann und zu welchen Gelegenheiten in der Geschichte wird der Begriff der Schönheit normiert, idealisiert und als politisches Element gebraucht – oder missbraucht?

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Machthaber totalitärer Staaten wie Hitler oder Stalin generierten schon immer einen einheitlichen Schönheitsbegriff. Der perfekte, gestählte Körper stand im Zentrum der visuellen Propaganda und wurde für Kunst und Film in Szene gesetzt. Darüber hinaus prägten die Nationalsozialisten den Begriff der „entarteten Kunst“ für alles, was diesem Ideal der Schönheit und der Ästhetik widersprach.

„Das ist ein Totalitarismus des perfekten, des unangreifbaren, militarisierten Körpers“, so Hana Gründler. „Schwäche, Sensibilität, Krankheit, vermeintliche Andersartigkeit, all das wird eliminiert aus dieser Bildwelt, die ja auch eine Gedankenwelt, eine Ideologie ist. Es geht um Formen von Unterwerfung des Individuellen unter das ästhetisierte, kollektive, staatlich normierte Körperbild. Letztlich ist es stets auch die Ausblendung dessen, was nicht akzeptierter Teil der Gesellschaft ist.“

Körper, Kunst, Kritik

„Gegen diese propagandistische Normierung und Ideologisierung des Körpers wehrten sich viele Body-Art-Künstler in den 1970er- und 1980er-Jahren in Osteuropa“, so Gründler, etwa der tschechische Künstler Petr Štembera, der seinen eigenen Körper durch Schlaf- und Nahrungsentzug bis an die äußersten Grenzen brachte.

„Natürlich geht es hier nicht um Schönheit. Es geht darum, den eigenen Körper und die Kunst als Instrument der Kritik an ihre eigenen Grenzen zu bringen. Und gegen idealisierte Körpervorstellungen zu revoltieren“, erklärt Gründler.

Das tat auch die tschechische Filmregisseurin Věra Chytilová. In ihrem Film „Tausendschönchen“ von 1966 zeigt sie zwei Frauen, die sie Marie 1 und Marie 2 nennt und die gegen die Weiblichkeitsideale im Sozialismus aufbegehren. Sie verhalten sich nicht entsprechend der vorherrschenden Gesellschaftsnorm, essen die ganze Zeit und stopfen mit beiden Händen Speisen in sich hinein.

„Die beiden Maries feiern in Tausendschönchen die Freiheit, die Abweichung […]. Und auch die Kraft, über die eigenen Bilder des Körpers bestimmen zu können“, so Gründler. Doch wie steht es im Zeitalter der Digitalisierung und Technologie um Freiheit und Andersartigkeit?

KI verstärkt bestehende Schönheitsnormen

„Als Bildwissenschaftlerin denkt man hier sofort an die berühmte antike Legende über den Maler Zeuxis, der aus fünf Jungfrauen, die für ihn posierten, die eine, die schönste aller Frauen, nämlich Helena, erschuf“, so Gründler. „Von jeder übernahm er eine andere Ansicht, einen anderen Körperteil. Das spiegelt die Vorstellung, dass Schönheit aus einer Vielzahl von Körpern selektiert werden kann.“

Ähnliches generieren heute auch die KI-Bildtools, wenn sie Frauen mit langen Haaren und großen Brüsten oder Männer mit Waschbrettbauch hervorbringen, die als Models in den sozialen Medien Produkte bewerben.

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Gemeinsam mit ihrem Kollegen Rafael Uriarte hat Gründler einen Workshop veranstaltet, in dem auch darüber diskutiert wurde, wie KI bestehende Schönheitsnormen reproduziert und verstärkt.

„[Es] ist bekannt, wie sehr insbesondere junge Frauen durch KI generierte Bilder beeinflusst werden. Die Macht der Bilder ist enorm. Immer mehr versuchen, ihren eigenen Körper gemäß ihrem simulierten Idealbild – auch operativ – zu formen“, so Gründler.

Vielleicht ist es an der Zeit, die kaum erreichbaren Schönheitsnormen zu ignorieren und stattdessen zur natürlichen Schönheit zurückzufinden, ähnlich wie es Donatello mit seiner nicht perfekten Maria Magdalena tat.

Mit Material der Max-Planck-Gesellschaft.



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