Alchemie in Europa: Von Aristoteles bis Paracelsus und Goethes Faust
In Kürze
- Die Alchemie galt früher als allumfassende Naturphilosophie, heute als Pseudowissenschaft.
- Während 4.000 Jahren wurden alchemistische Tätigkeiten in ganz Europa, Arabien, Ägypten, Indien und China durchgeführt.
- Mit einem Fund aus Wittenberg und zahlreichen Alchemisten hat das Gebiet bis heute seine Spuren in Deutschland hinterlassen.
- Ein Vergleich mit heute zeigt, dass Alchemisten und Forscher ähnliche Ziele verfolgten – nur die Herangehensweisen sind unterschiedlich.
Die einen verehrten sie als alles verbindendes wissenschaftliches Konzept, die anderen verspotteten sie oder stuften sie als Pseudowissenschaft ein. Das Bild der Alchemie hat sich nach jahrtausendelangem Bestehen binnen kurzer Zeit und durch unglückliche Ereignisse grundlegend verändert.
Diese Verwandlung vollzog sich im 18. und 19. Jahrhundert mit der Etablierung der Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie als eigenständige Disziplinen. Zu dieser Zeit festigte sich die Meinung, dass die Alchemie ein Arbeitsfeld von dreisten Betrügern, merkwürdigen Laboranten und dunklen Magiern sei, die gefährliche Substanzen, mystische Zaubersprüche und eine geheimnisvolle Zeichenschrift verwendeten.
Doch lange vorher – von der Antike bis zur Renaissance – galt die Alchemie nicht als Scharlatanerie, sondern als Mittel zur Erlangung von allumfassendem Wissen. Deshalb beschäftigten sich viele Gelehrte, Mönche, Mediziner, Philosophen und Adlige damit. Zwar gab es hier – wie in vielen anderen Bereichen auch – Menschen, die die Alchemie zu negativen Zwecken nutzten, aber auch jene, die wichtige Entdeckungen machten.

Darstellung eines Alchemisten aus dem mittelalterlichen Werk „Aurora consurgens“. Foto: Gemeinfrei
Grundsätzlich verfolgten Alchemisten ähnliche Ziele wie die heutigen Forscher: Sie wollten Antworten auf Fragen finden, die sie bewegten. Wie kann eine Krankheit besiegt oder ausgelöscht werden? Und was passiert, wenn ich diesen und jenen Stoff miteinander vermische? Nur die Mittel und Methoden waren anders als in der technologisch fortgeschrittenen Moderne.
Schummelware aus Ägypten
Der früheste Nachweis für alchemistische Praktiken lässt sich bis ins Alte Ägypten zurückverfolgen. So besaßen die Ägypter vor über 4.000 Jahren bereits das nötige technische Verständnis, um teure Farben, Perlen, Edelsteine und Edelmetalle täuschend echt nachzuahmen.
Mit der Eroberung Ägyptens im 4. Jh. v. Chr. kamen die Griechen mit dem alchemistischen Wissen der Ägypter in Kontakt und integrierten vieles in ihre naturwissenschaftlichen Schriften und philosophischen Lehren.
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Am wichtigsten war hierfür der Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) mit seiner Vier-Elemente-Lehre. Nach ihr sind Stoffe durch die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft sowie deren unterschiedliche Mischungsverhältnisse entstanden. Im 1. Jahrhundert n. Chr. stand deshalb das Umwandeln und Erschaffen von Stoffen im Mittelpunkt der antiken Alchemie.
Der bedeutendste Ort für damalige Alchemisten war das ägyptisch-griechische Alexandria mit seiner berühmten Bibliothek – die Heimat vieler Philosophen und Gelehrter. Ein Großteil des Wissens zur antiken Alchemie ging jedoch verloren, nachdem der römische Kaiser Diokletian 292 n. Chr. die Verbrennung alchemistischer Schriften anordnete. Aus dieser Zeit erhalten sind bis heute der Stockholm-Papyrus und der Leidener Papyrus X, die die Herstellung von täuschend echten Edelsteinen und -metallen beschreiben.

Der Leidener Papyrus X stammt aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Foto: Sailko, Wikimedia Commons/CC BY 3.0
Andere Länder, andere Alchemie
Zeitgleich gab es neben der westlichen Alchemie auch alchemistische Tätigkeiten in Indien und China. Von der indischen Alchemie sind Schriften aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. bekannt. Darin wird die Verbindung zwischen Gold und ewigem Leben, das Schmelzen von Metallen und die Herstellung von Sprengstoffen erklärt.
Die chinesischen Alchemisten, meist Daoisten, widmeten sich dagegen mehr der Medizin, weshalb die Traditionelle Chinesische Medizin (kurz TCM) eine wichtige Rolle spielte. So war ein Ziel die Entdeckung des Großen Elixiers der Unsterblichkeit. Alchemisten wie Ge Hong (um 280–340) glaubten, dass nur die Alchemie oder die Meditation zur Unsterblichkeit führen können.
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Über die Seidenstraße tauschten die Chinesen ihr Wissen mit dem der arabischen Alchemisten aus, die um 750 n. Chr. über Griechenland mit der Alchemie in Kontakt kamen. Die arabischen Alchemisten trieben die westliche Alchemie mit der Entdeckung neuer Substanzen und der Entwicklung von Gerätschaften weiter voran. Einer der wichtigsten Alchemisten unter ihnen war Dschābir ibn Hayyān († um 810), auch Geber genannt, der angeblich in seinem Labor unter anderem Leben erschaffen wollte.
Der arabische Einfluss ist bis heute im Wort „Alchemie“ erhalten geblieben, das sich von „al-kīmiyā“ ableitet. Dessen Wurzeln liegen vermutlich im antiken Griechenland, wobei die exakte Wortbedeutung unbekannt ist.

Die Zeichnung aus einem Buch des 15. Jhs. soll den arabischen Alchemisten Geber zeigen. Foto: Gemeinfrei
Die Verwandlung im Mittelalter
Mit der Ausbreitung des Kalifenreichs kamen die Mitteleuropäer vermehrt ab dem 10. Jahrhundert mit arabischen Schriften in Kontakt. Es folgten zahlreiche Übersetzungen großer arabischer Werke. Eine der frühesten alchemistischen Schriften ist das 1144 übersetzte „Buch über die Zusammensetzung der Alchemie“ von Robert von Chester.

In dem Buch „Ymage de vie“ sind zahlreiche alchemistische Rezepte enthalten. Foto: Wellcome Trust/Wikimedia Commons/CC BY 4.0
Die mittelalterlichen Alchemisten, meist Mönche und Gelehrte, verbanden das Konzept der Alchemie mit Religion, Medizin, Chemie, Biologie, Kunst und Philosophie, wodurch sie ein allumfassendes Forschungsfeld erschufen.
In erster Linie erforschten sie dabei die Transmutation: die Umwandlung von Unedlem in etwas Vollkommenes. Dies konnten zwar auch Metalle und andere Stoffe umfassen, aber auch den menschlichen Körper und die Seele. In der Vorstellung mittelalterlicher Alchemisten gelinge das Erlangen der völligen Erkenntnis nur durch die Zusammenarbeit aller Disziplinen.
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Hilfe bei dem Weg dorthin fanden die Alchemisten in der „Tabula Smaragdina“ – einer der wichtigsten alchemistischen Schriften. Dieser mystische Text, angeblich von der mythologischen Person Hermes Trismegistos verfasst, erklärt die Zusammenhänge des Kleinen (Mikrokosmos) und des Großen (Makrokosmos).
Woher der Text stammt und wie alt er ist, ist unklar. Eine von vielen Legenden besagt, dass die ursprünglich zweiteilige Tafel aus Smaragd gefertigt war und im Grab des Hermes Trismegistos – in der Cheops-Pyramide in Gizeh – lag.

Darstellung der „Tabula Smaragdina“ in einem Buch von 1609. Foto: Gemeinfrei
Mönche, Adlige und Faust – Alchemisten bei der Arbeit
Die ersten führenden mittelalterlichen Alchemisten waren der Philosoph Roger Bacon (um 1220–1292) und der Franziskanermönch Paulus von Tarento, auch Pseudo-Geber genannt. Weitere Bekannte waren Albertus Magnus (1200–1280), deutscher Bischof und Lehrer von Thomas von Aquin, der deutsche Theologe Heinrich Cornelius (1486–1535) und der Schweizer Mediziner Paracelsus (1453–1541).

Die mittelalterlichen Alchemisten Albertus Magnus (l.), Heinrich Cornelius (M.) und Paracelsus (r.). Foto: Gemeinfrei/Wellcome Trust, Wikimedia Commons/CC BY 4.0/Gemeinfrei
Einer der rätselhaftesten Alchemisten war Johann Georg Faust (1480–1540), der unter mysteriösen Umständen den Tod gefunden haben soll – vermutlich bei einer Explosion im Rahmen seiner Experimente. Fasziniert von der Person verewigte ihn Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) drei Jahrhunderte später als Protagonist in seiner gleichnamigen Tragödie „Faust“ als Mann, der mit dem Teufel im Bunde war.

Darstellung des Paktes mit dem Teufel aus Goethes Tragödie „Faust“. Foto: Gemeinfrei
Auch Adlige wie Kurfürst August von Sachsen und seine Frau unterstützten und praktizierten die Alchemie. So beherbergte sie auf ihrem Schloss Annaburg eines der größten Labore ihrer Zeit und holten sich bekannte Alchemisten wie Paul Luther, den Sohn des Reformators Martin Luther, an ihren Hof. Während August nach dem sagenumwobenen Stein der Weisen suchte, stellte seine Frau Anna Medizin her.

Kurfürst August von Sachsen und seine Frau Anna waren beide als Alchemisten tätig. Foto: Gemeinfrei/ gemeinfrei
Ein Labor in Wittenberg
Eine weitere bedeutende alchemistische Einrichtung befand sich in der Lutherstadt Wittenberg. Diese Stadt war nicht nur für die Reformatoren und Gläubigen ein brodelnder Ort, sondern auch für Alchemisten.
Im Jahr 2012 entdeckten Archäologen in einer Grube im ehemaligen Franziskanerkloster zahlreiche Scherben von Glasgefäßen eines Alchemielabors. Da die Apparaturen vor ihrer Entsorgung für allerlei Verfahren verwendet worden waren, konnten die daran anhaftenden Reste von Chemikalien einen Einblick in die Arbeit eines Alchemisten geben.
So stellte sich heraus, dass in den Gefäßen unter anderem Schwefelsäure, das sogenannte Vitriolöl, aus Vitriol hergestellt wurde sowie „Scheidewasser“ (Salpetersäure) und andere ätzende und giftige Substanzen. Wer der Besitzer des Labors war und welchen Zwecken die Tätigkeiten dienten, ist unbekannt.

Ähnliche Glasgefäße, wie sie hier im Schloss Weikersheim zu sehen sind, wurden auch in Wittenberg gefunden. Foto: Holger Uwe Schmitt, Wikimedia Commons/CC BY-SA 4.0
Zu den wichtigsten Materialien eines Alchemisten gehörten zudem Quecksilber und Antimon. Letzteres konnte zu einer glasartigen Masse geschmolzen oder zum Reinigen von Gold verwendet werden. Außerdem kamen die giftigen Metalle auch in der Medizin zum Einsatz.
Weil Antimon zu Erbrechen und Schwitzen führte – also nach mittelalterlicher Vorstellung den Körper reinigte –, sah der Arzt Paracelsus das Metall als den Stein der Weisen an. Andere Menschen sahen dies ganz anders: Da das „Allheilmittel“ oft zu hoch dosiert war, starben viele Patienten an den Folgen einer Vergiftung. Tatsächlich kommen feindosierte Antimonpräparate noch heute in wenigen bestimmten Fällen zum Einsatz.
Paracelsus war der erste Mediziner, der zusätzlich zur traditionellen Naturmedizin auch Chemikalien zur Behandlung nutzte – was nicht ohne Kritik blieb. Es folgten als Reaktion Paracelsus‘ berühmte Worte: „Alle Dinge sind Gift […]; allein die Dosis machts, dem ein Ding kein Gift sei.“
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Geheime Zeichen und der Stein der Weisen
Tatsächlich waren einige Alchemisten auf der Suche nach dem legendären Stein der Weisen. Anders als in großen Hollywood-Produktionen soll es sich dabei aber nicht um einen Stein gehandelt haben, sondern um eine rote, wachsartige und steinschwere Substanz.

Darstellung der drei von vier Phasen des Opus Magnum. Foto: Gemeinfrei
Wie diese zu finden beziehungsweise herzustellen sei, ist im „Großen Werk“, dem Opus Magnum, beschrieben. Unter der Verwendung von zwölf chemischen Vorgängen, die je einem Sternzeichen zugeordnet waren, sei der Stein der Weisen in vier Stufen – der Nigredo, der Albedo, der Citrinitas und der Rubedo – herstellbar.
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Da alchemistische Tätigkeiten zeitweise verpönt oder gar verboten waren und Geheimnisse geschützt werden sollten, verwendeten die mittelalterlichen und späteren Alchemisten eine spezielle Symbolschrift. Diese konnte sich in einigen Fällen und Zeichen von Alchemist zu Alchemist unterscheiden. In ihren „Rezepten“ codierten sie so Zutaten, Mischungsverhältnisse, Herstellungsverfahren und Zeitangaben.
Die sieben wichtigsten und bereits in der Antike bekannten Metalle waren zudem den sieben bekannten Himmelskörpern zugeordnet. So galt unter anderem Silber dem Mond, Gold der Sonne und Blei dem Saturn.

Übersicht von alchemistischen Symbolen und ihrer Bedeutung. Foto: Gemeinfrei
Vom Zufall zum Verfall
Weil Alchemisten ihre Arbeit unter Geheimhaltung und im Verborgenen durchführten, kamen immer wieder Gerüchte von merkwürdigen, teuflischen Machenschaften in Umlauf. Die oft negative Einstellung blieb auch dann bestehen, als im 14. Jahrhundert die Alchemie auch für die breite Bevölkerung zugänglich wurde.
Unter die Gelehrten mischten sich Neugierige, aber auch zahlreiche Betrüger, und nachdem sich Persönlichkeiten wie der italienische Dichter Dante (1265–1321) und andere negativ zur Alchemie äußerten, kam es vermehrt zu Verboten durch Könige und Päpste.
Ab der Renaissance und zur Zeit der Aufklärung distanzierten sich immer mehr Menschen von der Alchemie. Zwar gelang meist zufällig die Entdeckung von Stoffen wie Phosphor oder später Porzellan sowie um 1600 erstmals das Destillieren von Sauerstoff, doch dies reichte nicht aus, um ihr Image wiederherzustellen.

Das Gemälde „Der Alchemist beim Suchen nach dem Stein der Weisen“ illustriert die zufällige Entdeckung des Phosphors durch Hennig Brand im Jahr 1669. Foto: Gemeinfrei
Gelehrte wie der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) plädierten vermehrt dafür, Wissenschaft ohne Gott zu betreiben. So sollten Experimente rein rational und ohne theologische Denkweisen angegangen werden. Obwohl sich weiterhin große Männer wie Isaac Newton oder Robert Boyle der Alchemie zuwandten, wurde sie von der uns heute bekannten Wissenschaft verdrängt.
Das Ziel der Alchemie war ursprünglich, zu verstehen, wie Natur und Mensch mit Gott und dem Universum verbunden sind. Wie wir Verbesserungen durch Veredlung erreichen und warum Dinge genau so passieren und nicht anders. Im Gegensatz dazu ist die moderne Wissenschaft mitunter speziell auf die Klärung einer Sache zugeschnitten, ohne dass „das Dahinter“ hinterfragt wird, wie es nach philosophischer Tradition geschah.
Viele traditionelle Alchemisten waren also eigentlich auf der Suche nach dem Weltgeheimnis, das auch Albert Einstein suchte. Die Verwandlung von Blei zu Gold wäre dabei möglicherweise ein glücklicher Nebeneffekt gewesen.
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